Der lebendige Spiegel im Menschen In Resonanz lernen - lösen - leben - lieben Olaf Jacobsen Verlag 2014 ISBN 978-3-936116-04-5 324 Seiten, Broschur 17,90 € BESTELLEN im Olaf Jacobsen Shop E-Book PDF 9,99 € (Olaf Jacobsen Shop) E-Book Kindle 9,99 € (Amazon)
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Aufwühlend und aufrüttelnd!
In der Neurobiologie weiß man, dass unser Gehirn die Realität in sich selbst konstruiert. In den Systemischen Aufstellungen werden im zwischenmenschlichen Bereich „resonierende Empfindungen“ erlebt. Jacqueline und Olaf Jacobsen entwickeln daraus ein einzigartiges Menschenbild – und nutzen es für ihre Beziehung. In diesem atemberaubenden Pionier-Buch beschreiben sie ihre heilenden Sichtweisen, Umgangsformen und Methoden, die auf alle Arten von Beziehungen übertragbar sind und Augen öffnen.
Die Scheidungsquote in Deutschland ist hoch. Viele Partnerschaften zerbrechen. Auch Jacqueline und Olaf hatten sich nach fünf anstrengenden Beziehungsjahren im Jahr 2009 getrennt. Beide nahmen dieses Schicksal als Spiegel, zur Selbstreflexion. Knapp zwei Jahre später beobachteten sie, dass sie sich wieder näherkommen – fast automatisch. Es folgte die Verlobung und 2012 die Hochzeit.
Heute sagen sie begeistert: „Die Annäherung hört einfach nicht auf! Wir reflektieren viel – und unsere Ehe wird immer liebevoller, offener, herzlicher, kuscheliger und freier!“
Sie schildern mit ergreifenden Beispielen, wie man allein oder zu zweit Spiegel-Methoden anwenden kann, um sich im Leben immer harmonischer und stimmiger zu fühlen – auch im Job.
Der lebendige Spiegel
I Die erste Spiegel-Ebene: DER KREATIVE
Wie wir uns kreativ an ein neues Selbstbild gewöhnen
"Das ist mein kraftvolles Gehirn!"
„Du projizierst
gerade!“
Die Essenz des ersten
Kapitels
II
Die zweite Spiegel-Ebene: DER VERWUNDETE
Wie wir optimal im Fluss bleiben
Lebe ich Verantwortungsabgabe oder Spiegel-Bewusstsein?
Wie wir eigenverantwortlich mit Verletzungen umgehen
Verletzungen sind oft seelische Phantomschmerzen
Wie wir seelische Phantomschmerzen auflösen
Wie wir erfolgreich Projektionen weiterentwickeln
„Das ist dein Problem!“
Die Essenz des zweiten
Kapitels
III
Die dritte Spiegel-Ebene: DER FORSCHER
Der einzige Maßstab: unser Stimmigkeitsgefühl
Unser Universum besteht aus Kräften / Wünschen
„Alles ist DAS WÜNSCHENDE“
Unsere Wünsche sind effektive Veränderungsregler
So funktionieren wir
Wo wirken welche Wünsche?
Die große Falle: Schuldzuweisung
Wie wir Schuldzuweisungen auflösen
Die Essenz des dritten
Kapitels
IV
Die vierte Spiegel-Ebene: VERBUNDENHEIT
Spukhafte Fernwirkungen überall
Wir können die Verbundenheit nicht direkt wahrnehmen
Unser Umfeld beeinflusst unsere Wünsche
Wie wir Rückschlüsse auf unser Umfeld ziehen können
Wer beeinflusst eigentlich wen?
Die Essenz des vierten
Kapitels
V Das Spiel mit
dem lebendigen
Spiegel
Ich fühle mich wie ein "weises freies Kind"
Wie wir unser Umfeld
optimal
als Spiegel für uns
selbst nutzen
Was hilft "wirk-" lich?
Aus unserer Beobachtung des Umfeldes
stellen
wir Vermutungen über
uns selbst an
DIE VIER SZENEN
Herzzerreißendes Weinen als höchst effektives Lösungswerkzeug
Wie wir Autoren uns gegenseitig beim Spiegeln helfen
Die Regeln des Freien Aufstellens auf den Alltag übertragen
Ein Unterscheidungs-Spiel zur Verfeinerung
unserer
Realitätsabbildung im Gehirn
„Augen auf!“ – Befreie dein Stimmigkeitsgefühl
Wie lernen und wachsen wir mit Freude?
Wie wir unsere Problemtrancen nachhaltig auflösen
- ein
erlösender Überblick
x
Danke
Über die Autoren
Literaturverzeichnis
Entscheidende Textausschnitte:
Liebe
Leserinnen und Leser,
vielleicht
wird Ihnen auffallen, dass wir Autoren in diesem Ratgeber privat und
persönlich
schreiben – auch wenn wir öfter
„abstrakte“ Gedankengänge haben oder
manche Erkenntnisse
von Wissenschaftlern ansprechen. Vielleicht haben Sie sogar das
Gefühl, dass
wir Ihnen einen langen persönlichen Brief schicken. Dann liegt
das daran, dass
wir uns genau das auch vornehmen. Wir wollen so tun, als ob wir einen
ganz
persönlichen Brief an Sie schreiben.
Je
intensiver wir uns mit den Themen „Spiegel“ und
„Resonanz“ befasst haben, desto
deutlicher haben wir wahrgenommen: Wir fühlen uns nur
authentisch, wenn wir persönlich
(= subjektiv) von uns selbst berichten. Wir können und wollen
uns nicht hinter
einer Objektivität eines Fachbuches verstecken, die eigentlich
gar nicht möglich
ist.
Denn
– was sehen wir, wenn wir direkt in einen Spiegel schauen?
Uns selbst. Wenn wir
also über diesen Spiegel und seinen Inhalt berichten, reden
wir über das, was wir
darin entdeckt haben: uns selbst.
Betrachten
Sie unseren langen Brief bitte aus zwei Perspektiven:
1. Er spiegelt
ausschließlich unsere persönliche, subjektive
Realität wider.
2. Er könnte Ihnen
selbst als „Spiegel“ dienen. Wie stellen Sie unsere
Realität in sich selbst dar
und wie reagieren Sie darauf? Wie gehen Sie damit um?
Wir
wollen schon gleich zu Beginn tief in das geheimnisvolle
Phänomen der
Spiegelung eintauchen: Was ist ein Spiegel und wofür
können wir ihn einsetzen?
Stehen
wir vor einem Spiegel und schauen direkt hinein, dann reflektiert der
Spiegel Teile
von uns selbst. Wenn wir lächeln, dann blickt unser
Spiegelbild genauso lächelnd
zurück. Machen wir einen grimmigen Gesichtsausdruck, dann
sehen wir auch ein
grimmiges Spiegelbild. Wenn wir unserem Spiegelbild liebevoll in die
Augen
schauen, dann beobachten wir, wie unser Spiegelbild uns liebevoll in
die Augen
schaut.
Wir
beeinflussen als Beobachter das, was wir beobachten. Deswegen
können wir das,
was wir beobachten, oft auch positiv
beeinflussen.
Inzwischen
ist uns das Beeinflussen unseres Spiegelbildes so
selbstverständlich geworden,
dass wir darüber nicht mehr erstaunt sind. Bei jungen Katzen
oder Hunden oder
auch kleinen Kindern, die zum ersten Mal in einen Spiegel schauen,
können wir
die Faszination des „Spiegel-Spiels“ noch
entdecken. Wir Spiegel-Erfahrene nutzen
unser Spiegelbild inzwischen, um uns erfolgreich zu schminken oder zu
rasieren
oder Ähnliches. Wir schauen unser Gesicht oder unseren
Körper genauer an, um
eventuell Dinge an uns zu entdecken, die wir noch zum Besseren
verändern wollen.
Ohne Spiegelbild könnten wir diese Dinge nicht sehen und daher
auch nicht
gezielt verändern. Spiegel sind aus unserem Alltag nicht mehr
wegzudenken. Wir
brauchen sie.
Allerdings
gibt es nicht nur glatte Spiegel, die wir im Kaufhaus erhalten. Es gibt
auch
„lebendige Spiegel“ um uns herum, mit deren Hilfe
wir unseren persönlichen
Entwicklungsprozess intensivieren und beschleunigen können.
Viele
Autoren von Lebenshilferatgebern schreiben darüber, dass die
Menschen um uns
herum einen Spiegel für uns darstellen. Sie schreiben, dass
sich unser lebendiges
Umfeld mit uns in Resonanz befindet und wir es direkt oder indirekt
beeinflussen. Im wissenschaftlichen Bereich wird in der Quantenphysik
schon
lange darüber gesprochen, dass der Beobachter das Beobachtete
beeinflusst.
Dementsprechend spiegelt sich in einem Forschungsergebnis auch mehr
oder
weniger die Haltung des beobachtenden Wissenschaftlers wider. Jede
Wissenschaft
ist subjektiv geprägt.
Seite 37
...
Ein
Mensch wird nie endgültig entscheiden können, wie
nahe er mit seiner
subjektiven Realität an die wirkliche
äußere Realität herankommt, also ob sie
falsch oder richtig ist. Es gibt keinen „objektiven
Maßstab“, der den Grad der
Übereinstimmung wird bestimmen können. Der
U-Boot-Kapitän schaut nicht durch ein
Fenster nach draußen, sondern muss alles so intelligent wie
möglich aus der
Anzeige seiner Messinstrumente folgern. Das bedeutet aber auch:
Jede
subjektive Realität wird immer nur ein unfertiges Abbild mit
blinden Flecken
bleiben. Daher kann niemand sein Umfeld perfekt verstehen. Man erreicht
lediglich „Annäherungen“. Von einem
wirklichen „Verständnis“ können
wir
eigentlich gar nicht mehr reden. Es gibt immer nur
„Missverständnisse“. Letztendlich
geht es beim Wunsch, sein Umfeld so gut wie möglich zu
verstehen, darum, das am
besten funktionierende Missverständnis zu finden.
„Ich
weiß, dass ich nicht weiß.“ (Sokrates)
Bei
diesem Menschenbild müssen wir davon loslassen, jemals einen
anderen Menschen
oder einen Sachverhalt komplett perfekt wahrnehmen und verstehen zu
können. Wir
müssen jederzeit unsere blinden Flecken und die
Unvollständigkeit und Unschärfe
unseres Gehirns mit einberechnen.
Gleichzeitig
bietet dieses Menschenbild eine enorm große Chance
für uns selbst. Wenn wir
„eigentlich“ nur unser kraftvolles Gehirn
wahrnehmen können, dann bedeutet es,
dass wir in Wirklichkeit uns selbst
genau wahrnehmen können!
An
dieser Stelle kann ich wieder an den Begriff des
„Spiegels“ erinnern. Was macht
ein Spiegel? Er bietet uns eine klare Fläche, in der wir uns selbst genau wahrnehmen können.
Er spiegelt uns.
Jetzt
kommt der phänomenale allumfassende Schluss, den wir aus dem
bisher
Beschriebenen ziehen können:
Wenn
wir immer nur unser Gehirn wahrnehmen und was es aus den Schwingungen
und
Feldern in unserem Umfeld macht, was es kraftvoll erschafft, dann
können wir
das als Spiegel für uns selbst nutzen. So, wie wir unser
Umfeld projizieren und
bewerten, sind wir selbst. Es ist
die
Schöpferleistung unseres eigenen
Gehirns.
Seite 41
...
Je
bewusster uns Menschen ist, dass unser Gehirn permanent ein
Schöpfer ist und die
äußere Welt nur in sich nachbildet, desto mehr
erkennen wir: Wir haben die volle
Verantwortung für unsere Nachbildung! Wir haben die volle
Verantwortung für
unser inneres Erleben, für unsere Gedankenkraft und damit auch
für unsere
Verletzungsgefühle. Wir wissen: Unser Gehirn ist
dafür verantwortlich, auf
welche Weise es die äußeren Objekte nachbildet.
Unser Gehirn gibt den äußeren
Objekten eine subjektive Bedeutung (wie
schauen wir in den Spiegel und wie
gehen wir mit dem, was wir wahrnehmen, um?!). Je klarer wir die eigene
Verantwortung erkennen, desto weniger Schuldzuweisungen und
Vorwürfe machen wir
anderen. Auch unsere Ängste gegenüber anderen
Menschen nehmen ab, wenn wir
letztendlich merken, dass wir nur vor uns selbst Angst haben, vor den
schmerzvollen
Konstruktionen unseres Gehirns.
Der
bekannte Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Philosoph
Paul
Watzlawik schreibt dazu: „Aus der Idee des Konstruktivismus
ergeben sich zwei
Konsequenzen: Erstens die Toleranz für die Wirklichkeit
anderer – denn dann
haben die Wirklichkeiten anderer genauso
viel Berechtigung,
wie meine eigene. Zweitens ein Gefühl der
absoluten
Verantwortlichkeit. Denn wenn ich glaube, dass ich meine eigene
Wirklichkeit
herstelle, bin ich für diese Wirklichkeit
verantwortlich.“
Im
Grunde müssen wir radikal umdenken und wirklich für alles
die Verantwortung übernehmen: Dafür, wie
unser Gehirn mit den hereinkommenden Signalen umgeht,
haben wir selbst die volle Verantwortung.
Dafür kann niemand anderes die Verantwortung
übernehmen.
Seite 60 ff.
Als
Kind hatte ich eine Hexe unter meinem Bett vermutet. Ich hatte Angst
davor,
dass sie mir abends meine Füße festhält,
wenn ich ins Bett steige. Deswegen
machte ich immer einen großen Sprung. Wir wissen, dass dies
die Fantasie eines
Kindes war. Wir wissen jetzt aber auch, dass wir heute nichts anderes
machen:
Unser Gehirn projiziert etwas.
Viele
Jahre nach einer Trennung denken Menschen an ihren Ex-Partner und
ärgern sich
in der Gegenwart immer noch über ihn und sein damaliges
Verhalten. Sie denken
an ihre Eltern und fühlen immer noch Wut oder Hemmungen oder
andere unangenehme
Gefühle. Sie denken an längst vergangene Situationen,
fühlen aber in der
Gegenwart immer noch das gleiche Gefühl in sich auftauchen,
das sie auch damals
hatten.
Was
passiert? Das Gehirn projiziert etwas.
Wir
haben mehrere Möglichkeiten, mit den Projektionen unseres
Gehirns umzugehen und
sie weiterzuentwickeln. Ich erläutere ein paar
Möglichkeiten anhand meines
Beispiels aus meiner Kindheit:
1. Ich suche danach, welche
Fähigkeiten ich entwickeln
müsste, um mich erfolgreich vor der Hexe zu schützen.
Oder was würde helfen,
eine große Macht zu erlangen, so dass die Hexe keine Chance
mehr hätte und bei
jedem Kampf die Unterlegene sein würde? Und ich wäre
permanent der Gewinner!
2. Ich suche danach, auf
welche Weise ich diese
Hexe vernichten könnte. Wie könnte ich sie
töten? Was bräuchte ich für
Werkzeuge, damit die Vernichtung auch vollkommen wirkt und die Hexe nie
wiederkommt? Dann würde ich mich endlich frei und
unabhängig fühlen.
3. Ich suche danach, wie ich
mich mit der Hexe versöhnen
könnte. Welche Rituale
bräuchte ich? Sollte ich die Wünsche der Hexe
integrieren? Oder
sie einfach so achten, wie sie ist? Will sie vielleicht
nur gewürdigt werden? Vielleicht genügt eine
Verneigung vor ihr – und dann können
wir uns friedlich die Hand reichen und sie respektiert auch meinen
Wunsch, dass
ich in Ruhe in mein Bett steigen darf.
4. Ich probiere aus, wie es
ist, wenn ich allem
zustimme, was die Hexe vorhat. Wenn ich sie bedingungslos liebe. Alles,
was sie
plant und mir antun würde, darf dazugehören und ich
halte es aus und trage es
mit. Aus allem kann ich lernen. Es dient für meinen
Wachstumsprozess. Alles hat
seinen Sinn.
5. Oder ich schaue einfach
unter das Bett und
entdecke, dass die Hexe gar nicht existiert. Sie war
„nur“ eine Projektionsleistung
meines Gehirns. Und wenn ich hinterher doch noch einmal Angst bekomme,
sage ich
mir: „Das ist mein kraftvolles Gehirn!“
6. Allerdings könnte
sich in meiner Fantasie während
der Versöhnung (siehe Möglichkeit 3) die Hexe auch in
eine liebevolle und
verständnisvolle Fee verwandelt haben, bei der ich mich
endlich so geborgen
fühle, wie ich es noch nie fühlen durfte. Dann schaue
ich lieber nicht unter
das Bett, sondern stelle mir weiter vor, dass da eine Fee unter meinem
Bett
liegt und mir Geborgenheit, Verbundenheit und Nähe vermittelt.
Falls ich
entdecken müsste, dass es sie gar nicht gibt, würde
ich ein tiefes Verbundenheitsgefühl
verlieren – und das tut weh. Ich wäre
plötzlich ganz alleine. Da projiziere ich
doch lieber weiter eine liebe Fee unter mein Bett, anstatt mich mit der
harten
Realität zu konfrontieren.
Ich
löste damals mein Problem mit Hilfe der Möglichkeit
Nr. 5 und finde, sie lässt
sich gut auf viele andere Situationen übertragen. In jedem
Moment, in dem ich
ein Problem fühle, habe ich die Wahl, „unter das
Bett zu schauen“ und mich zu fragen:
„Sind
meine Bilder und Gefühle jetzt gerade angemessen? Durch welche
Aktion/Frage
kann ich die gegenwärtige Situation erforschen und noch
genauer kennenlernen?
Wie ist die Situation jetzt gerade in Wirklichkeit?“
Was
ist eine Kriegstrance? Soldaten im Einsatz können nur auf
andere Menschen
schießen, wenn sie gleichzeitig ihr Mitgefühl, ihre
Empathie komplett abgestellt
haben. Man kann nur andere Menschen beschimpfen, wenn man gleichzeitig
sein
Mitgefühl für diese anderen Menschen abgeschaltet
hat. Wenn mich also ein
Mensch verbal angreift, hat er den Kontakt zu seinem Mitgefühl
unterbrochen und
befindet sich in einer Kriegstrance.
Ich
fühle das in Form eines Ohnmachts- und Kleingefühls,
denn der andere ist nicht
mehr zugänglich, nicht mehr offen. Er wirkt wie hypnotisiert
in dem, was er tut.
Ich werde von ihm nicht mehr wirklich wahrgenommen und habe keine
Chance. Daher
macht es auch keinen Sinn, irgendetwas zu sagen, und ich fühle
mich sprachlos.
Die einzige Möglichkeit wäre, zum anderen ein
Gleichgewicht einzugehen und zurückzuschießen.
Doch dazu müsste ich ebenso mein eigenes Mitgefühl
abstellen und mich in eine
Kriegstrance begeben, was ich aber nicht wählen
möchte.
Lasse
ich meine Empathie, mein Mitgefühl offen, dann fühle
ich etwas vollkommen Natürliches:
den Verlust einer Verbundenheit. Der andere hat in sich selbst seinen
empathischen und mitfühlenden Teil abgespalten. Zu diesem Teil
hat keiner von
uns beiden mehr Zugang. Er ist gerade
„verlorengegangen“. Mein
Verletzungsgefühl ist etwas Natürliches, etwas
Menschliches, wie der Schmerz
meiner Hand auf einer heißen Herdplatte. Entweder ziehe ich
mich zurück oder
halte das Gewitter aus, bis es vorbei ist.
Über
den anderen denke ich: Er war früher einmal ganz offen. Doch
dann musste er
öfter erleben, dass er verletzt wurde. Diese Verletzungen
konnte er nicht
verarbeiten. Er hat nicht gelernt, lösend damit umzugehen. Und
so befindet sich
ein Teil seines Gehirns in einem ungelösten Schmerzzustand.
Mein Verhalten hat
diesen Schmerz aktiviert – und jetzt ist er gerade aus diesem
Schmerz heraus gestresst
aktiv und verletzt andere Menschen.
Wenn
er diesen Schmerz in sich erlösen möchte, wenn er
sich für sein eigenes Mitgefühl
und seine Empathie wieder öffnen möchte, müsste
er sich zuallererst dem Schmerz stellen, andere Menschen verletzt zu
haben.
Ein Soldat, der seine Empathie beim Verletzen oder Töten
anderer Menschen abgestellt
hat und der nun wieder Zugang zu seiner Empathie haben möchte,
müsste
zuallererst den tiefen Schmerz in sich zulassen, einen anderen Menschen
getötet
zu haben. Er müsste sich erlauben, diesen Schmerz zu
fühlen, intensiv
auszudrücken und fließen zu lassen (weinen).
Das
ist einer der schlimmsten Schmerzen, die ein Mensch zu verarbeiten hat.
Vielen
Eltern geht es so, dass sie einen (unbewussten) Schmerz
darüber in sich tragen,
wie sie damals ihre eigenen Kinder behandelt haben. Wenn diese
Schmerzen
emotional komplett ausgedrückt und damit verarbeitet werden,
bekommt ein Mensch
allmählich wieder tieferen Zugang zu seinem Mitgefühl
und seiner Empathie.
Da
auch ich andere Menschen verletzt habe, weiß ich, wie
unendlich schwer und wie
schmerzvoll das ist. Deshalb kann ich den Menschen, der mich gerade
anschreit,
sehr gut verstehen. Ich kann verstehen, dass es ihm im Moment nicht
gelingt,
darüber zu reflektieren, wie er sich gerade mir
gegenüber verhält oder wie er
sich schon früher gegenüber anderen Menschen
verhalten hat. Es ist auf jeden
Fall leichter für ihn, weiterhin anderen Menschen eine Schuld
zuzuweisen und
gegen sie zu kämpfen, als sich seinem eigenen unverarbeiteten
Schmerz zu stellen.
Es
gibt Menschen, die daran arbeiten, diese Wertungen
grundsätzlich loszuwerden
und stattdessen der Situation liebevoll zuzustimmen. Ich biete Ihnen
jedoch die
innere Haltung an, Wertungen als vollkommen normal anzuerkennen, also
auch den
Wertungen zuzustimmen.
Unsere
Wertungen hören erst auf, wenn wir unser Ziel erreicht oder
losgelassen haben,
wenn wir also komplett ziellos sind, wenn wir einfach nur
„sind“, ohne jegliches
Ziel.
Allein
durch die Existenz eines Zieles werden wir automatisch zum
Unterscheider
zwischen Gut und Böse, zwischen richtig und falsch, zwischen
„das gehört dazu“
und „das gehört nicht dazu“.
„Wünsche
wecken Wirkungen und
Wertungen“
– besser ist es nicht auf den Punkt zu bringen.
In
der Ziellosigkeit sind wir einfach nur erleuchtet und können
allem zustimmen,
wie es ist, können es geschehen lassen.
Ich
fahre wesentlich entspannter Auto, seitdem ich zustimme, dass andere
Autofahrer
grundsätzlich Vorrang vor mir haben wollen. Ich habe mein
eigenes Ziel, Vorrang
vor anderen Autofahrern zu haben, verändert
in das Ziel, anderen Autofahrern Vorrang zu geben,
wenn sie es gerade so wollen. Durch diese Entscheidung werte ich den
Drang
fremder Autofahrer nicht mehr als
„störend“, sondern er gehört
für mich dazu
und ich bin dabei entspannt, wenn ich ihnen den gewünschten
Vorrang gebe.
Habe
ich das Ziel, morgens pünktlich zur Arbeit zu kommen, bin aber
zu spät
losgefahren, dann bewerte ich jede rote Ampel als Hindernis. Lasse ich
jedoch
mein Ziel los und stimme zu, dass ich später komme, sind die
roten Ampeln „nur
noch“ rote Ampeln – ohne Bewertung.
Wenn
Wertungen automatisch entstehen, sobald wir ein Ziel verfolgen,
können wir diesen
Automatismus auch umgekehrt anwenden: Wenn wir eine Wertung erleben,
dann
bedeutet es automatisch, dass gerade ein bestimmtes Ziel verfolgt wird
–
bewusst oder unbewusst.
Ich
nutze oft mein spontan wertendes Verhalten als Zeichen dafür,
dass ich gerade
ein Ziel verfolge. Denn manchmal sind mir meine Ziele nicht bewusst.
Untersuche
ich also meine Wertungen, dann kann mir wieder bewusst werden, welches Ziel ich gerade verfolge.
Kleine
Babys zeigen bereits durch ihre Wertungen, durch ihr Schreien und
Quengeln,
welche Zielerreichung sie blockiert fühlen. Gleichzeitig
können wir daran
ablesen, welches Ziel sie verfolgen, welchen Wunsch sie haben und auf
welche
Weise wir ihnen helfen können.
Hinter
jeder Wertung steckt ein
Ziel. Hinter jedem
Konflikt stecken mehrere Ziele, die sich gerade gegenseitig behindern. (Ich
fasse im Weiteren die Begriffe „Ziel, Plan, Wunsch,
Bedürfnis, Sehnsucht,
Absicht, Richtung, Bestreben, Anliegen etc.“ in dem Begriff
„Wunsch“ zusammen.)
Wir
können die Änderung einer Wertung über die
Änderung unserer eigenen Wünsche regeln.
Der Änderungsdrehknopf oder der
„Regler“
sind unsere Wünsche. Drehen wir an unseren
Wünschen und machen sie stärker
oder schwächer, dann können wir gleichzeitig damit
unsere Wertungen, Konflikte,
Druckgefühle, Stress und viele andere
Unstimmigkeitsgefühle verändern –
stärker
oder schwächer machen. Denn sie sind alle eine Reaktion
auf unsere Wünsche. Unstimmigkeitsgefühle sind eine
„natürliche Folge“ unserer
Wünsche, die wir gerade in uns tragen.
Wir
können Wünsche nicht nur in der Stärke
variieren, sondern wir können bei
manchen Wünschen auch auf den Drehknopf drücken und
sie dadurch ganz ausstellen
(= den Wunsch komplett aufgeben, verzichten, nachgeben). Dann
verschwinden
sofort auch alle zu diesem Wunsch gehörenden Wertungen,
Verletzungen und
Konflikte.
Ganz
logisch: Haben wir keinen Wunsch
nach
Nähe, dann kann uns niemand einen Verlustschmerz
zufügen. Hat ein Kind keinen
Wunsch, am Computer zu spielen,
dann nützt auch kein Computerverbot, um das Kind zu bestrafen,
denn das wäre
dem Kind egal. Haben wir keinen
Wunsch nach Freiheit, dann kann uns kein Gefängnis bestrafen.
Hat ein Fußballspieler
auf dem Platz kein Ziel mehr, den
Ball in das gegnerische Tor zu befördern, dann wird er
dafür nicht mehr kämpfen
und wird auch nicht mehr vom Gegner bekämpft. Nur sein Trainer
und seine
Mitspieler bekämpfen ihn, weil er nicht mehr dem gemeinsamen
Ziel zur Verfügung
steht. Ist ihm dies auch noch egal, dann kann er glücklich auf
dem Rasen sitzen
und die Sonne genießen, die gerade auf das
Fußballfeld scheint.
Im
Buddhismus wird empfohlen, seine Anhaftungen aufzulösen. Leid
entsteht durch
Anhaftung. Je stärker wir an einem Ziel anhaften, je
größer der Wunsch ist, das
Ziel unbedingt zu erreichen, desto größer sind auch
unser Leid und unsere
Bewertungen, wenn wir Hindernisse oder Störungen erleben.
Lösen wir die
Anhaftung auf, dann können sich freie, gelöste
Gefühle breit machen.
Das
ist genau das, was ich hier beschreibe. Regeln wir einen Wunsch
herunter, dann
verringern wir unsere Anhaftung an ein Ziel bzw. wir geben das Ziel
ganz auf.
In diesem Moment verändert sich auch automatisch unsere
Bewertung. Ein ganz
logischer Zusammenhang.
Jacqueline:
Als
mir Olaf von dem Drehknopf erzählte, mit dem man
Wünsche hinauf- oder herunterregeln kann, hatte ich danach
eine sehr unruhige
Nacht. Ich hatte tagsüber mitten in Verhandlungen mit einer
Fluggesellschaft gesteckt,
die mir einen nicht unerheblichen Betrag zurückerstatten
sollte. Als ich mir
nun nachts vorstellte, was ich denn noch tun könne, um das
Geld zurückzubekommen,
fühlte ich sehr viel Stress und Wut in mir. Doch jedes Mal,
wenn ich mir
vorstellte, den Wunsch loszulassen, fühlte ich mich
ausgeglichen. Es gab nur
‚entweder – oder’. Mein Schalter war
nicht stufenlos regelbar – es gab nur
‚ein’ oder ‚aus’. War der
Schalter eingeschaltet, fühlte ich mich mit meinem
Stress und Ärger wie ein Rottweiler, der die Fluggesellschaft
anknurrte und anbellte.
War der Schalter ausgeschaltet, fühlte ich mich wie ein Baby
– völlig hilflos. Ich
fühlte keinen Impuls mehr, mich überhaupt noch um das
Geld zu kümmern.
Ich
überlegte, wie es für mich optimal wäre und
mir fiel
Folgendes ein: Ich würde gerne den Wunsch mit Hilfe des
Schalters fast ganz herunterregeln,
aber dennoch Spaß und Freude daran haben zu erforschen, ob es
noch Mittel und
Wege gibt, zu meinem Recht und somit zu meinem Geld zu kommen. In
meiner
Phantasie erschien daraufhin eine in Bändern eingewickelte
Gestalt, die wie
eine Mumie aussah. Als ich mich in diese ‚Mumie’
einfühlte, wusste ich sofort,
was sie darstellte: meinen kreativen Anteil. Genau, das wäre
des Rätsels Lösung:
ohne Druck und innere Erwartungen – also den Wunschschalter
fast heruntergeregelt
– mit diesem kreativen Anteil zu erforschen, ob es mir
gelingen würde, das mir
rechtmäßig zustehende Geld
zurückzubekommen.
Doch
leider waren diesem kreativen Anteil die Hände und
auch alles andere gebunden. Als ich mir versuchte vorzustellen, wie die
‚Mumie’
einen Finger aus den Bändern hervorstreckt, kam eine Hand aus
dem Nichts und
schlug auf den Finger ein, so dass die ‚Mumie’ die
Finger schnell wieder unter
die Bänder steckte. In dieser Nacht kam ich mit meinem inneren
Bild nicht
weiter: Ich fühlte mich weiterhin als Rottweiler, wenn ich das
Ziel verfolgte,
das Geld zurückzubekommen. Ich fühlte mich wie ein
hilfloses Baby, wenn ich
ganz von dem Wunsch losließ, und sah die Mumie neben mir
stehen – meinen
kreativen Anteil, der nicht handeln konnte.
Dennoch
war ich morgens sehr dankbar, dass mir aufgrund
der Probleme mit der Fluggesellschaft dieses Thema bewusst werden
durfte. Denn
diese drei ‚Gefährten’ (Rottweiler, Mumie
und Baby) begleiten mich schon fast
mein ganzes Leben lang. Sicher waren alle drei in der Form zu
irgendeiner Zeit
in meinem Leben sinnvoll gewesen und haben mir sehr geholfen, denn
sonst hätte
mein Gehirn diese Anteile nicht entwickelt. Doch inzwischen hatten sich
meine
Ziele verändert, so dass ich mir nun wünschte, diese
drei Gefährten auch
verändern zu können. Dabei ging es mir
natürlich hauptsächlich um die Befreiung
und Belebung der ‚Mumie’.
Allein
durch die Bewusstwerdung dieses Themas hatte ich
die Idee und auch die Energie, mich beim Luftfahrt-Bundesamt
über meine Rechte
zu erkundigen und bekam prompt eine für mich sehr positive
Antwort. Kurzerhand
schrieb ich eine sehr klare E-Mail an die Fluggesellschaft und
fühlte mich
dabei ziemlich entspannt.
Olaf
schlug mir zur Lösung meines Problems vor, in meiner
Fantasie die ‚universellen Eltern’ als
Unterstützung hinter die Mumie zu
stellen. Vielleicht können sie meinem eingewickelten kreativen
Anteil einen
lösenden Rahmen bieten, in dem er sich befreien kann.
Zur
Erklärung: Die ‚universellen Eltern’ sind
bei unseren
Workshops ‚Freie Systemische Aufstellungen’ ein
Werkzeug und wie folgt definiert:
Die universelle Mutter und der universelle Vater stellen jene
Eltern-Energie
dar, die frei von allen problematischen Anteilen ist. Sie bestehen aus
der
reinen Elternliebe, die in allen Eltern vorhanden aber leider oft durch
Traumata und unverarbeitete Schmerzen verschüttet ist.
Wenn
ich mir jetzt vorstelle, dass die universellen
Eltern hinter meinem Mumien-Anteil stehen und ich mich in die Mumie
einfühle,
dann kommt ganz viel Schmerz in mir hoch. Der Schmerz ist so heftig,
dass die
Mumie in sich zusammensackt und auf dem Boden zusammengekauert liegen
bleibt. Bei
mir selbst fließen die Tränen des Schmerzes.
Während ich noch im Gefühl der
Mumie bleibe und weine, verändern sich die Bilder in meinem
Gehirn wie von
selbst. Die Bänder, die aus meinem kreativen Anteil eine Mumie
gemacht haben,
lösen sich ein bisschen und bilden nun eine Art Kokon, in dem
mein kreativer
Anteil sich frei bewegen kann.
Das
erste, was der kreative Anteil macht: Er berührt alle
seine in der Kindheit verletzten Teile. Er berührt seine
Finger, auf die
geschlagen wurde – die Pobacken, auf die geschlagen wurde
– die Wangen, auf die
geschlagen wurde – den Hinterkopf, auf den geschlagen wurde
– und er berührt
zum Schluss mit beiden Händen sein Herz, das so oft verletzt
worden ist. So
sitzt der kreative Anteil im Schneidersitz in dem Kokon und weint
– so wie ich
jetzt hier auch weine, während ich mir das vorstelle und
aufschreibe. Ich frage
mich, warum der Kokon im Kontakt mit den liebevollen, universellen
Eltern noch
notwendig ist. Die Antwort erscheint sofort wie von selbst in meinem
Gehirn: Du
hast noch Angst, dich so zu zeigen, wie du wirklich bist –
mit all deinem Leid
– mit all deiner Kreativität. Die Bänder,
der Kokon sind ein Zeichen deiner
Angst und deines Schmerzes.
Wenn
ich mir jetzt vorstelle, dass die Bänder auf den
Boden fallen und die universellen Eltern mich liebevoll anschauen, dann
kommen
noch mehr Tränen…
Nachdem
ich nun so lange geweint habe, bis alle Tränen versiegt
sind, kann ich mir vorstellen, mich als kreativer Anteil von den
universellen
Eltern umarmen zu lassen. In meiner Fantasie hole ich noch die anderen
Anteile
dazu: den Rottweiler und das Baby. Doch auch diese Anteile haben sich
inzwischen
verändert. Der Rottweiler ist zu einem Schmusehund geworden
und das Baby zu
einer erwachsenen Frau.
Seite 111 ff.
Die
große Falle: Schuldzuweisung
Olaf:
Dieser
gesamte Forscher- und Entwicklungsprozess in uns, über den wir
die ganze Zeit in
diesem Kapitel reden, läuft aber nur, wenn eine bestimmte
Bedingung erfüllt ist.
Ansonsten tut sich nichts. Diese Bedingung lautet:
Wir
müssen davon ausgehen, dass
wir
ständig in den Spiegel schauen. Genau dann beziehen wir eine
erfahrene Unstimmigkeit
nämlich auf uns selbst, auf unsere Realitätsabbildung
und auf unseren dahinter stehenden
Wunsch. Dadurch wird unser Such- und Entwicklungsprozess angeregt. Er
dient uns
dafür, die erfahrene Situation genau zu erforschen. Wir machen
uns die wirkenden
Wünsche bewusst, lernen erfolgreich aus der Situation und
gestalten unsere
Wünsche und Realitätsabbildungen stimmiger.
Solange
wir aber davon ausgehen, dass die Ursache einer Unstimmigkeit im Außen
bei einem anderen Menschen liegt, sich diese Ursache im Moment nicht
verändern
lässt und wir gleichzeitig auf eine Änderung im
Außen warten, bleibt unser
Prozess inaktiv. Nichts
in uns sucht nach einem besseren Gleichgewicht. Alles wartet auf
die Änderung im Außen.
Zusätzlich fühlen wir uns vom Außen
abhängig und
sind unzufrieden, wenn das Außen nicht so reagiert, wie wir
es wünschen oder
erwarten.
Seite 149 ff.
Jacqueline:Erste
praktische Beispiele:
Als
mein Sohn ca. zwei Monate alt war, hat er jeden Abend
geweint. Er war satt und wollte nichts mehr trinken, er hatte eine
trockene
Windel und hatte auch keine Bauchschmerzen. Ich wusste einfach nicht,
was mit
ihm los war. Er weinte und ich versuchte es mit Herumtragen und mit
Wiegen –
nichts konnte das Kind beruhigen. Nach zwei Stunden war ich verzweifelt
und war
völlig k.o. Ich legte mich mit dem Kind auf dem Bauch ins Bett
und weinte
einfach mit. Innerhalb von 10 Minuten waren wir
beide eingeschlafen.
Was
war passiert?
Ein
Baby fühlt den ungelösten Schmerz seines Umfeldes. Da
es meistens noch ganz im Fluss der Gefühle ist,
drückt es den Schmerz, den es
vom Umfeld wahrnimmt, einfach durch Weinen aus. Weint das Umfeld diesen
Schmerz
selbst aus, dann wird er verarbeitet, kann verschwinden und auch das
Baby muss
ihn nicht mehr fühlen und nicht mehr ausdrücken.
Meine
Freundin hatte eine sehr schwere Geburt mit
Komplikationen, die in einem Notkaiserschnitt endete. Es ist
für alle gut ausgegangen,
doch Mutter und Kind hatten einige Schocks hinter sich. Als ich sie
wenige Wochen
nach der Geburt besuchte und Mutter wie Kind mit Hilfe meiner
Körpertherapie
hnc entstresste, erzählte mir meine Freundin, dass ihr Sohn
sehr häufig weine.
Obwohl er todmüde war, konnte er einfach nicht in den Schlaf
finden. Während
der Behandlung ihres Sohnes geschah dann genau das. Er weinte und
ließ sich
nicht beruhigen. Als ich meine Freundin beobachtete, sah ich, dass sie
gegen
ihre Tränen ankämpfte. Daraufhin fragte ich sie:
„Was fühlst du gerade?“ –
„Es
tut mir so weh, dass er so leiden muss. Ich bin so hilflos, weil ich
ihm nicht
helfen kann.“
Ich
bat sie, ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Eine
Mutter muss nicht immer stark sein und die Tränen
unterdrücken, sondern sie
sollte authentisch sein. Dann muss das Kind nicht die Tränen
weinen, die sie
unterdrückt. Augenblicklich fing sie ganz heftig an zu weinen
und all die fürchterlichen
Erinnerungen an die Geburt kamen hoch. Sie weinte darüber
ausgiebig mit ihrem
Sohn in ihrem Arm. Dieser beruhigte sich sehr schnell und schlief dann
ganz
friedlich. Seit diesem Tag konnte ihr Sohn viel leichter in den Schlaf
finden.
Vielleicht
haben Sie Freude an folgendem Spiel:
Entwickeln
Sie bei jeder Situation – auch bei allen unangenehmen
Situationen und bei
Situationen, in denen Sie anderen Menschen zur Verfügung
stehen müssen – das
Gefühl: „Irgendetwas
Geniales werde ich
hier lernen können. Ich möchte herausbekommen,
was!“
Die
Situationen, in die Ihr Gehirn projiziert, dass Sie gerade ungewollt
anderen
Menschen oder anderen Mächten zur Verfügung stehen
müssen und dabei intensiv
von außen beeinflusst werden, können Sie mit diesem
Spiel in Situationen
verwandeln, in denen Sie einen
großen
Gewinn für sich selbst erkennen. Es bleibt nur noch
die Frage, was für ein
Gewinn!
„Irgendetwas
Geniales werde ich
hier lernen können. Ich möchte herausbekommen,
was!“
Übertragen
wir das auf die gegenseitige Beeinflussung:
Wenn
wir uns die Frage stellen, wer gerade wen beeinflusst oder wer gerade
wem zur
Verfügung steht, dann können wir uns
„eigentlich“ wieder auf die grundsätzliche
Frage konzentrieren: Wo wirken welche Wünsche?
Die Frage, wer gerade wen
beeinflusst, würde
ich generell beantworten mit: Wir
beeinflussen uns immer gegenseitig.
Alles
beeinflusst alles, weil alles
mit allem in Verbindung steht. Dabei kann sich alles und jeder gleichzeitig weiterentwickeln.
Ich
finde diese Sichtweise der permanenten gegenseitigen Beeinflussung noch
viel günstiger
als die Sichtweise, dass an einer bestimmten Stelle ein Einfluss von A
auf B
stattfindet. Was entsteht nämlich, wenn man diese
zweitgenannte Sichtweise
annimmt? Schuldzuweisungen! A ist schuld daran, wie B sich
fühlen muss, weil ja
A einen Einfluss auf B ausübt. Erinnern Sie sich: Bei einer
Schuldzuweisung
bleibt immer ein Wachstumsprozess stecken und wartet auf eine
Änderung im Außen
(in diesem Fall bei B).
Man
kann aber die Sichtweise wählen, dass alles mit allem
verbunden ist und sich
permanent gegenseitig beeinflusst
und
dass man voneinander lernen kann. In dem Fall gibt es nicht nur einen
Einfluss
von A zu B, sondern immer auch gleichzeitig
einen Einfluss von B zu A. Die Schuldzuweisungen heben sich gegenseitig
auf, denn
beide Seiten haben gleichzeitig Schuld. Beide beeinflussen sich
gegenseitig. Beide
haben sich auf irgendeiner Ebene durch bestimmte Wünsche
gegenseitig angezogen,
so dass nun diese Situation entstehen durfte. Aus dieser Situation
dürfen alle Beteiligten
intensiv lernen, wenn
sie es wollen. Grundsätzlich
können wir
also alle Situationen im Leben als
reine Win-win-Situationen umdeuten!
Ich
habe immer noch nicht erklärt, warum Jacqueline und ich die
Frage: „Wie können
wir unser Umfeld optimal als Spiegel nutzen?“ mit
„Gar nicht!“ beantworten. Das
kommt jetzt:
Eigentlich
ist es ganz einfach. Schauen wir noch einmal auf unsere (subjektive)
These: „Wir
können niemals aus unserem Gehirn aussteigen und die
Realität direkt
wahrnehmen.“
Nehmen
wir diese These ernst, dann bedeutet das automatisch, dass wir die
Realität
auch niemals direkt als Spiegel
für
uns selbst einsetzen können. Denn:
Wie
sollen wir einen Spiegel benutzen,
wenn wir ihn nicht einmal direkt
sehen können?
Das
ist der alles entscheidende Punkt!
Stellen
Sie sich vor, dass Ihre Augen nicht mehr scharf sehen. Ohne Brille
nehmen Sie alles
nur noch verschwommen wahr.
Jetzt
stellen Sie sich ohne Brille vor einen Spiegel im Bad oder im Hausflur
und
sagen: „Oh, ich sehe heute aber verschwommen aus. Wenn ich
aus dem Haus gehe,
merken alle Menschen, wie verschwommen ich bin. Was kann ich tun, damit
mein
Gesicht nicht mehr so verschwommen ist? Ich muss es irgendwie schaffen,
mein
Gesicht wieder klarer zu bekommen. Vielleicht hilft dabei eine
Gesichtsmassage.
Oder ich gehe zu einem Modellierer …“
Sie
merken: Das fühlt sich irgendwie unstimmig an, oder? Sie
kommen auf ein ähnlich
unstimmiges und verschwommenes Ergebnis, wenn Sie pauschal davon
ausgehen:
„Alles, was ich im Außen wahrnehme und was mir
begegnet, spiegelt mein Inneres
wieder.“
In
Wirklichkeit müssten Sie erkennen, dass Ihre Augen nicht gut
sehen. Und solange
Ihre Augen nicht gut sehen, macht es auch keinen Sinn, im
Außen in einen
Spiegel schauen zu wollen. Aber es macht
Sinn, sich um Ihre Augen zu kümmern und den Blick zu
klären.
Wenn
wir nicht wissen, wie klar wir eigentlich die Realität um uns
herum wahrnehmen,
dann macht es keinen Sinn, diese Realität als Spiegel
einzusetzen. Stattdessen
macht es Sinn, unsere Realitätsabbildung in unserem Gehirn als
Spiegel zu nutzen.
Es macht Sinn, sich um unsere
Realitätsabbildung
zu kümmern und sie immer weiter zu klären.
Der
einzige (!) Maßstab, der
uns bei
dieser Klärung hilft, ist unser eigenes subjektives Stimmigkeitsgefühl
– und
nicht unser Umfeld.
Noch
einmal auf den Punkt gebracht: Wenn wir permanent in den Spiegel
schauen, weil
wir die Projektion unseres Gehirns wahrnehmen, dann stellt nicht unser
Umfeld einen
Spiegel dar, sondern unsere Projektion!
Das,
was wir in unser Umfeld projizieren,
spiegelt uns.
Darin,
wie wir unser Umfeld in uns
abbilden, können wir uns spiegeln.
Es
kann für uns einen Spiegel
darstellen, wie wir das, was wir von unserem Umfeld wahrzunehmen
meinen,
bewerten, wie wir darüber denken, was wir dazu fühlen
und wie wir damit umgehen.
Aber
wie unser Umfeld „wirklich“ ist, können
wir niemals wissen, da wir es nicht
direkt wahrnehmen können. Daher können wir auch nie
unser Umfeld direkt als Spiegel
nutzen. Immer nur schwammig indirekt – über unsere
unvollständige und unperfekte Realitätsabbildung.
Ich
kann mir vorstellen, dass inzwischen einige Leser etwas verwirrt
fühlen, denn
wie soll man denn nun mit dem Spiegel im Umfeld umgehen? Welche
Schlussfolgerung
kann man aus diesem neuen Be-wusst-sein
ziehen?
Unsere
Schlussfolgerung ist: Wir sollten uns permanent be-wusst
bleiben, dass all unsere Deutungen, Bewertungen und Interpretationen,
die wir über unser Umfeld entwickeln,
„unscharf“ sind und auch immer wieder
anders ausfallen könnten. Es gibt keine
„Eins-zu-eins-Übertragung“. Die Aussage
„Wie innen, so außen“ ist
äußerst relativ
und hängt immer von der subjektiven Sichtweise des Betrachters
ab.
Erinnern
Sie sich an den Vollmond. Wir Menschen sehen immer noch eine Scheibe.
Aber wir
haben an diese Scheibe das Wissen
geknüpft, dass der Mond eine Kugel ist. Genauso empfehle ich
Ihnen, Ihr Alltagsbewusstsein
mit folgendem Wissen zu
verknüpfen:
1. Alles, was Sie
im Alltag wahrnehmen, ist Ihr
kraftvolles Gehirn, das auf einer tiefen Ebene mit allem in Verbindung
steht.
2. Alles, was Sie
in Ihrem Umfeld als Feedback
oder als Spiegel für sich nutzen, ist Ihre eigene wandelbare
Realitätsabbildung. Deswegen ist alles immer
unterschiedlich interpretierbar
und könnte auch ganz anders und vor allem noch
stimmiger (!) sein, als Sie es
gerade denken und fühlen.
3. Wenn Sie im
Alltag ein Ziel verfolgen oder
ein Problem haben, dann schauen Sie darauf, was Ihnen jetzt
gerade weiter hilft und was sich für
Sie persönlich stimmig anfühlt. Nur das
zählt.
Auf
diese Weise bleiben Sie immer offen für weitere und noch
stimmigere
Möglichkeiten, Sie bleiben autonom und Sie bleiben im Fluss.
Herzzerreißendes
Weinen
als
höchst effektives Lösungswerkzeug
Olaf:
Können
Sie sich daran erinnern, was ein Baby macht, wenn
es von den Eltern aus Versehen verletzt wird? Die Eltern haben
beispielsweise
beim Hineinlegen in den Kinderwagen den Kopf des Babys am Rahmen des
Kinderwagens
gestoßen. Wenn dieser Stoß sehr heftig war, dann
sieht man, wie sich
anschließend das Gesicht des Babys verzerrt, sich dabei der
Mund öffnet und es
herzzerreißend anfängt zu schreien und zu weinen.
Können
Sie sich vielleicht noch an Ihre eigene
Kindheit erinnern – und daran,
wie es Sie bei einer schmerzhaften Erfahrung einfach
überwältigt hat, aus Ihnen
herausgebrochen ist und Sie wie von
selbst einfach angefangen haben zu schluchzen und zu weinen?
Bei
fast allen Kindern können wir beobachten, dass sie sofort
zu weinen beginnen, wenn sie sich verletzt haben oder mit ihnen
geschimpft
wurde. Der Schock, der Schreck und der Schmerz werden dadurch sofort
auf natürliche
Weise ausgedrückt und im Gehirn sowie im Herzen verarbeitet.
Die meisten Menschen
denken, Weinen ist ein normaler Ausdruck des Schmerzes – und
wenn das Weinen
aufhört, hört auch der Schmerz auf. Doch nach unserer
Erfahrung ist Weinen ein
Ausdruck eines Verarbeitungsprozesses!
Und wenn das Weinen aufhört, hört auch
der Verarbeitungsprozess auf!
Aus
irgendeinem Grund benötigen wir Menschen so einen
Verarbeitungsprozess. In der Tierwelt ist er kaum zu finden. Manche
Tiere
trauern bei einem Verlust, wie z. B. Elefanten oder Hunde. Aber ein
lautes herzzerreißendes
Schreien und tränenreiches Weinen scheint
hauptsächlich uns Menschen vorbehalten
zu sein. Die Neurowissenschaftler haben leider noch nicht erforschen
können,
was da in unserem Gehirn passiert und warum wir so einen
Verarbeitungsprozess
brauchen. Aber in jeder Therapie oder Lebenshilfe können wir
entdecken, dass
die Tränen zu fließen beginnen, sobald sich ein
schmerzvolles und blockierendes
Thema lösen darf.
Wer
diesen Verarbeitungsprozess im Laufe seiner Kindheit
verlernt hat, wird höchstwahrscheinlich erleben, dass sich
sein Leben auf unverarbeiteten
Schockerlebnissen aufbaut, die darauf warten, nachträglich
verarbeitet zu
werden. Er wird ebenso erleben, dass in der Gegenwart oft emotionale
Phantomschmerzen
getriggert werden. Das Schicksal klopft immer wieder durch schmerzhafte
Erlebnisse
an die Tür, um den Verarbeitungsprozess eines alten,
inzwischen gewohnten
Schockzustandes wieder in Fluss zu bringen.
Die
Erfahrungen von Jacqueline und mir sind, dass sich
Schockzustände und unverarbeitete Schmerzen nicht durch
„Abwarten und Aussitzen“
lösen. Hier heilt die Zeit keine Wunden. Stattdessen
prägt die Zeit starre
Verhaltensstrukturen und eingeschränkte
Realitätsabbildungen innerhalb der Grenzen,
die durch die inzwischen gewohnten Schockzustände vorgegeben
werden.
Werden
schreckliche oder schmerzhafte Erlebnisse nicht sofort
emotional mit Hilfe von Tränen komplett verarbeitet, dann
wirken sie sich permanent
auf unser gegenwärtiges Leben aus. Wir merken es kaum, weil
wir uns an einen
Schock recht schnell gewöhnen. Wir halten es für
„normal“, wenn wir nach einem
Schockerlebnis vermehrt Angst davor haben, dass sich diese schreckliche
Situation wiederholt, oder wenn wir ein Vermeidungsverhalten
entwickeln, sobald
uns etwas oder jemand (unbewusst?) an die schreckliche Situation
erinnert.
Unverarbeitete
Schmerzen wirken nach unserer Erfahrung
blockierend und hemmend. Man entwickelt Ängste, Vermeidungen,
Unsicherheiten,
Schüchternheit oder auf der anderen Seite Abwehrverhalten,
Kämpfe, Abwertungen
und verletzendes Verhalten gegenüber anderen Menschen.
Außerdem wird die dunkle
Wolke um das eigene Stimmigkeitsgefühl herum immer
größer, so dass es einem
immer schwerer fällt, zu seinem tiefsten inneren
Maßstab Kontakt zu halten und
sich an sich selbst zu orientieren. Man verliert den Zugang zu seinem
Mitgefühl
für sich selbst und für andere Menschen. Eine
Problemtrance oder Kriegstrance
entsteht, in der man sein „echtes
Mitgefühl“ ausgeblendet hat, weil es mit zu
vielen unverarbeiteten Schmerzsituationen verknüpft ist.
Was
ist ein „echtes Mitgefühl“? Es ist die
Fähigkeit,
einen anderen Menschen verstehen zu können – und
zwar so, dass sich dieser
andere Mensch auch verstanden fühlt. Mitgefühl ist
nicht, dem anderen Sympathiegefühle
oder Liebesgefühle überzustülpen. Es ist ein
tiefes, klares Verständnis, das
durch eine sehr gut funktionierende Realitätsabbildung im
Gehirn möglich wird. Auch
wenn Ihnen von anderen Menschen schlimme und schreckliche Schicksale
erzählt
werden, können Sie das Erzählte intensiv
mitfühlen und nachvollziehen, ohne
dabei selbst in ein Problemgefühl zu rutschen.
Jacqueline:
Vor
einiger Zeit waren Olaf und ich mit dem Auto von Karlsruhe nach
München
unterwegs. Bereits als ich morgens wach wurde, ging es mir emotional
gesehen
gar nicht gut. Ich hatte fürchterlich schlechte Laune und
hatte zu nichts Lust.
Und nun musste ich auch noch packen und wegfahren.
Zu
meiner Erleichterung übernahm Olaf das Fahren. Doch leider gab
es auf der
eigentlich nicht allzu langen Strecke etliche Baustellen, so dass sich
die
Fahrtzeit verlängerte und Olaf nicht die gesamte Strecke
alleine fahren konnte.
Irgendwann nach Ulm war er so müde, dass ich doch fahren
musste. Lustlos setzte
ich mich an das Steuer. In meinem Kopf wurde der Widerstand nun noch
größer.
Nicht, dass ich nur fahren muss. Nein – ich musste auch noch
mit einem mir
fremden Auto zurechtkommen (ich war bis zu dem Zeitpunkt kaum mit Olafs
Auto
gefahren). Ich schimpfte darüber, dass die Lenkung so
empfindlich reagierte und
ich mich in den ewig langen Baustellen stark konzentrieren musste. Ich
meckerte
darüber, dass ich das Gefühl hatte, keinen
Überblick zu haben. Ich traute den Seitenspiegeln
nicht, die den toten Winkel anzeigten. Gleichzeitig aber fragte ich
mich, warum
ich heute so fühlte. Denn normalerweise mag ich es sehr gerne,
fremde Autos zu
probieren und fahre gerne und gut Auto.
Als
ich gerade einen LKW überholte, kam plötzlich von
hinten ein großes schwarzes
Auto angeflitzt und machte Lichthupe. Ich erschrak so heftig, dass ich
anfing
zu schimpfen: „Mensch, ja! Du siehst doch, dass ich nicht
wegfahren kann!“ Da er
so dicht auffuhr, dass ich seine Lichter nicht mehr sah, hatte ich
entsetzlich
Angst vor einem Unfall.
In
dem Moment, in dem ich wieder auf die rechte Spur gewechselt hatte und
die
Gefahr in einem Affentempo davon gebraust war, musste ich dem Fahrer
noch
schimpfend einige Sätze hinterher schicken. Da sagte Olaf zu
mir: „Ich glaube,
es ist besser, wenn ich wieder fahre.“
Wie
ihm später bewusst wurde und er mir später
erzählte, wurde ihm in dem Moment mein
Schimpfen zu viel. Er konnte es nicht in Ruhe
geschehen lassen, weil er den Wunsch nach mehr innerer Ruhe hatte. Er
wollte in
diesem Moment meinen Stress nicht „in Resonanz“
mitfühlen müssen.
Jedenfalls
verletzte mich seine Bemerkung in dem Moment sehr. Es entstand eine
Diskussion
darüber, dass ich es als normal empfinde, wenn
‚man‘ so erschreckt wird, dass
‚man‘ dem Schrecken auch Luft macht, so wie ich es
getan hatte. Olaf war aber
davon überzeugt, dass meine Reaktion keine
‚normale‘ Reaktion auf einen Schreck
war, sondern ein nicht verarbeitetes Thema von mir aufzeigte, und
wollte es mit
mir klären.
Seine
Fragen zu meinen Gefühlen in der Situation machten alles noch
viel schlimmer
und ich fühlte mich wieder einmal wie im Kreuzverhör
mit meinem Vater. Ich
fühlte mich klein, gedemütigt und vor allem
unverstanden, statt liebevoll
begleitet. Eine ‚normale‘, entspannte Reflexion
über die Situation mit dem
Raser war mit mir einfach nicht möglich. Der Widerstand in mir
wurde immer
größer: „Eigentlich wollte ich heute gar
nicht Auto fahren, weil es mir sowieso
schon nicht gut ging. Jetzt bin ich gefahren und nun ist es auch wieder
nicht
richtig, wie ich mich verhalte.“ Ich war sauer und verschloss
mich immer mehr.
Das Schlimme an dem Zustand war, dass ich selbst fühlte, dass
etwas mit mir
nicht stimmte. Doch ich kam aus dieser Problemtrance einfach nicht
heraus.
Gleichzeitig mochte ich mich selbst in diesem Zustand nicht.
Nichts,
was Olaf versuchte, half mir. Ich war und blieb ungenießbar
und mochte mich
selbst nicht leiden.
Am
nächsten Tag sollte unsere Veranstaltung beginnen und ich
hatte keine Lust. Die
erste Nacht in München war grauenvoll für mich
gewesen. Ich hatte kaum
geschlafen und war immer noch in der Distanz zu mir selbst gefangen.
Ich mochte
niemanden sehen und schon gar nicht anderen Menschen bei der
Veranstaltung
zur Verfügung stehen. So blieb ich im Bett und Olaf begann die
Veranstaltung allein.
Als
ich alleine im Zimmer war, fühlte ich mich geschützt.
Keiner war da, der mich
beobachtete – der mir unangenehme Fragen stellte –
der mir helfen wollte und
mir doch nicht helfen konnte, weil ich es nicht zuließ.
Keiner, dem ich dafür
zur Verfügung stehen musste, um ihm zu sagen, dass seine
Hilfsimpulse nicht helfen.
Ich
fühlte in mich hinein. Welche Gefühle konnte ich
wahrnehmen? Trotz, Widerstand
und ein großes ‚Nein‘ in mir drin. Ich
erinnerte mich nochmals an die Situation
mit dem drängelnden Raser auf der Autobahn, fühlte
nochmals die Angst.
Fast
automatisch und blitzschnell fragte ich mich: „Was war
gestern auf der Autobahn
passiert? Wie könnte ich das Problem in einem Satz
zusammenfassen? Was war die
Essenz der von mir erlebten Situation?“ Dann fiel es mir wie
Schuppen von den Augen
und ich erkannte den Spiegel hinter allem:
Der
drängelnde Raser tags zuvor hatte versucht, seinen Wunsch
‚auf Teufel komm
raus‘ durchzusetzen und hatte mich damit sehr erschreckt und
uns beide in
Gefahr gebracht.
Die
Grunddynamik ist also: Da hatte jemand einen Wunsch und den hat er
einem
anderen übergestülpt und den anderen dabei
erschreckt, verletzt bzw. in Gefahr
gebracht. Das kannte ich sehr gut! Endlich hatte ich die Entsprechung
in meinem
Leben gefunden. Ich hatte es als Kind in meinem Leben öfter so
empfunden, dass
mir meine Eltern bzw. andere Erwachsene ihre Wünsche
übergestülpt haben und ich
dann bestraft oder verletzt wurde, wenn ich den Wunsch des anderen
nicht
erfüllte.
Beispielsweise
war es in meinem Kindergarten in der DDR üblich, dass man
zwischen Ankommen und
Mittagspause einen Toilettengang für alle
durchführte. Wer zwischen den
gemeinsamen Toilettengängen auf die Toilette musste, wurde
angemeckert. Der herrschende
Wunsch war hier „der gemeinsame Toilettengang“.
Wenn dies nicht erfüllt wurde,
war die Bestrafung das Anmeckern.
Dann
durfte für das ‚kleine Geschäft‘
kein Toilettenpapier benutzt werden, weil
damals in der DDR das Toilettenpapier sehr rar war. Also musste gespart
werden
(= Wunsch). Doch zu lange auf der Toilette durfte man auch nicht sitzen
– und ging
dann ein Tropfen auf die Toilettenbrille, musste man diesen mit der
eigenen
Hand abwischen (= Bestrafung). Bereits damals als Dreijährige
fand ich das
alles sehr demütigend und ungerecht.
Ich
sehe es so: Wann immer ein Mensch (Kind) beschimpft oder geschlagen
wird,
steckt bei dem Schimpfenden ein Wunsch dahinter, dessen
Erfüllung gerade mit
Gewalt erzwungen wird.
Ich
selbst habe mit meinem Meckern über den drängelnden
Raser mit der gleichen
Dynamik reagiert. Ich hatte den Wunsch, dass ich beim
Überholen des LKW nicht
gefährdet werde und der Raser rechtzeitig bremst und geduldig
wartet, bis ich
wieder auf die rechte Spur fahre. Diesen Wunsch habe ich dem Raser
übergestülpt. Olaf hat mir seinen Wunsch nach Ruhe
und Analyse des ungelösten
Themas übergestülpt und ich habe ihm meinen Wunsch
nach freiem Ausdruck meiner
Gefühle übergestülpt.
Das
alles wurde mir im Bett liegend in München bewusst.
Im
Moment dieser Bewusstwerdung brach ich in Tränen aus und
musste intensiv
darüber weinen. Über eine halbe Stunde lang
ließ ich meine Gefühle fließen und
habe über den Schmerz der vielen, mit Gewalt erzwungenen
Wunscherfüllungen in
meiner Kindheit herzzerreißend geweint.
Danach
ging es mir wesentlich besser. Die Distanz, die Unlust und der
Widerstand waren
weg. Verarbeitet. Ich war endlich wieder offen und liebevoll. Bei dem
Gedanken
an den Raser waren zwei Dinge in meinem Gefühl: Die Klarheit,
dass ich so ein
Verhalten nicht in Ordnung finde, und gleichzeitig eine
Ausgeglichenheit. Kein
Ärger, keine Empörung und kein Kampfgefühl
mehr. So konnte ich nun endlich an
der Veranstaltung teilnehmen.
Dieses
Thema konnte ich sechs Monate später noch weiter
‚ausfeilen‘: Ich entschied mich, jeden Raser
entweder sofort vorbei zu lassen,
egal wie eng die Lücke zwischen den rechts fahrenden LKW ist,
oder etwas
schneller als sonst zu überholen. Was ich auf dieser Fahrt
erlebt habe, war für
mich unbeschreiblich schön. Die schlimmsten Raser und
Drängler haben sich bei
mir bedankt, als ich in die engen Lücken zwischen den LKW
auswich. Dies berührte
mich so tief, dass ich vor Freude in Tränen ausbrach.
Jacqueline:
Olaf
und ich nutzen unsere natürliche Verbundenheit und unseren
darauf aufbauenden siebten
Sinn (Mitgefühl, Empathie, Resonanz) effektiv zum Erforschen
und Lösen von
Problemen und von unverarbeiteten Schmerzen. Wenn einer von uns beiden
ein
Problem hat, möchte er die dahinter stehenden Wünsche
in sich selbst und/oder
im Umfeld erforschen und eventuell Lösungen für sein
Problem finden.
Manchmal
können wir die Existenz des Problems verstehen, manchmal
erhalten wir sogar
neue Impulse oder Anregungen, wie wir im Alltag mit dem Problem besser
umgehen
können und manchmal können wir das Problem gemeinsam
lösen oder einen tiefen
Schmerz verarbeiten.
Dabei
ist immer derjenige, der das Problem hat, der Chef. Er ist als
‚Problemträger’
derjenige, der in den Spiegel schauen will. Er ist der beeinflussende
Beobachter
und Forscher. Der andere steht dem Chef als
‚Spiegelnder’ bzw.
‚Stellvertreter’
und manchmal auch als ‚Berater’ zur
Verfügung. Er
lässt sich durch den Chef beeinflussen, fühlt sich
ein und agiert spontan.
Dann
beobachten wir gemeinsam, was der Spiegel zeigt. Welche
Gefühle, Gedanken oder
Verhaltensweisen tauchen beim Spiegelnden auf und welche (subjektiven)
Rückschlüsse
könnte man auf das Problem des Problemträgers ziehen?
Oder welche Reaktionen
tauchen beim Problemträger auf, wenn er in den Spiegel schaut?
Außerdem
beobachten wir, welche Lösungen von dem Spiegelnden angeboten
werden. Was will
sich unter dem Einfluss des Problemträgers entfalten?
Dabei
müssen wir nicht immer das gesamte körperliche
Verhalten der spiegelnden Person
beobachten. Es genügt auch, sich auf Gedankengänge
oder innere Bilder zu
beschränken. Welche Fantasien macht sich die spiegelnde Person
unter dem
Einfluss des Beobachters?
Im
Folgenden führen wir Sie in die Technik des Fantasie-Spiegelns
ein. Da diese
Technik den Freien Systemischen Aufstellungen im Geiste sehr
ähnlich ist,
könnte man es auch ‚Geistiges Aufstellen’
oder ‚Inneres Aufstellen’ nennen....
Was
ist eine Problemtrance?
Es
ist ein Zustand, in dem wir ein Problem fühlen und sich unser
Denken und Fühlen
sehr stark auf dieses Gefühl konzentriert. Entweder
müssen wir ganz viel reden
und verspüren den Drang, dass unser Gegenüber uns
endlich versteht, oder wir
fühlen den Drang, unser Problem endlich einmal komplett in
Worte zu fassen.
Wobei es auch sehr gut sein kann, dass wir uns dabei in Rage reden und
uns von keinem
mehr unterbrechen lassen. Oder wir fühlen ein Problem,
befinden uns im Stress
und merken, wie wir in diesem Zustand nur noch lauter destruktive und
ineffektive Gedanken haben. Manchmal ist unser Kopf sogar leer, z. B.
in einer
Prüfungssituation. Uns fällt nichts mehr ein, was wir
vorher noch wussten.
Kurz: In einer Problemtrance sind wir sehr auf einen Problemzustand
konzentriert und bekommen nur noch wenig Zugang zu anderen
Informationen in
unserem Kopf. Unser Denken und Fühlen sind
eingeschränkt.
Um
meine Problemtrancen zu verändern, habe ich mir dieses Spiel
für Klarträumer
zunutze gemacht. Dabei spiele ich nicht mehr, um den Unterschied
zwischen
Wachzustand und Traumzustand besser wahrnehmen zu können.
Sondern ich spiele
ein verändertes Spiel, um den Unterschied zwischen einem
emotional offenen
Zustand und einer Problemtrance klarer wahrnehmen zu können.
Dabei geht es
immer darum, zwei Zustände des projizierenden Gehirns auf eine
Weise
miteinander zu verknüpfen, so dass der beschränkte
Zustand sich erweitern kann.
Ich nenne mein verändertes Spiel: „Realitäts-Abbildungs-Erweiterungs-Technik“
= REAWEITIK©.
Dieser Begriff
ist meine Eigenkreation.
Die
REAWEITIK© ist das gezielte
Einüben eines bestimmten
Drei-Schritte-Verhaltensmusters:
1. Sich immer wieder
über den Tag verteilt – mit
z. B. stündlich klingelndem Wecker – die Frage
stellen: „Bin ich in Zustand A
oder bin ich in Zustand B?“ Der erste von beiden
Zuständen (A) ist ein
gelöster, offener, freier, glücklicher Zustand, oder
ein Zustand, in dem man
eine bestimmte Fähigkeit beherrscht. Der andere Zustand (B)
ist der Zustand, in
welchem man eine Veränderung bewirken möchte.
Durch
das Stellen dieser Frage wird quasi ein Wunsch
nach einer Antwort erschaffen,
eine „Wirkung“.
2. Um eine
körperliche (!) Antwort auf die Frage bei
Punkt 1 zu erforschen (keine gedankliche Antwort im Gehirn), versucht
man eine
körperliche Aktivität
durchzuführen,
die in dem einen Zustand grundsätzlich möglich ist,
in dem anderen Zustand aber
definitiv nicht. Beispiel: Bin ich frei oder gefesselt? Um eine
körperliche
Antwort zu erhalten, versuche ich aktiv, meinen Körper in alle
Richtungen zu
bewegen.
3. Dann beobachtet
man, ob diese körperliche Aktivität
durchführbar ist (stimmig) oder nicht
(unstimmig), und zieht dann den Schluss daraus, in welchem Zustand man
sich
gerade befindet (= Bewertung/Zuordnung).
Die
Wirkung der REAWEITIK© ist eine
Bewusstwerdung der Unterschiede und
damit eine deutlichere Wahrnehmung der beiden Zustände.
Gleichzeitig werden die
Bewusstheit und damit auch die Wahlmöglichkeiten innerhalb
desjenigen Zustandes
erhöht, in dem man eine Veränderung bewirken will. So
wird eine Veränderung
leichter möglich. Oft passiert sie sogar wie von selbst.
Wie
wir unsere Problemtrancen nachhaltig auflösen
- ein
erlösender Überblick
Als
abschließenden Höhepunkt und Happy End unseres
langen persönlichen Briefes an Sie
geben wir Autoren im Folgenden einen Überblick. Wir fassen die
Wege, Techniken
und Sichtweisen zusammen, die wir in unserem Alltag zum Lösen
von
Problemtrancen nutzen. Zusätzlich weisen wir durch
Seitenangaben darauf hin, wo
wir in diesem Buch ausführlich über das
erwähnte Thema geschrieben haben.
Sie
können den folgenden Abschnitt auch später gezielt
dafür nutzen, um ihn während
einer Problemtrance zu lesen.
Dadurch rufen Sie sich bestimmte Möglichkeiten wieder in
Erinnerung, die Ihr
Gehirn in einer Problemtrance gerade ausblendet.
Obwohl
wir den Text selbst geschrieben haben, geht es uns genauso: In einer
Problemtrance blendet unser Gehirn bestimmte Möglichkeiten aus
und verengt sich
auf das Problem. Es hilft uns immer wieder, den folgenden Text zu
lesen. Denn
wir entdecken jedes Mal mindestens einen Punkt, der uns hilft, unseren
Blick
wieder zu weiten und die Problemtrance schrittweise aufzulösen
oder
weiterzuentwickeln.
Wir
Autoren haben die Erfahrung gemacht, dass wir nur Probleme
lösen können, wenn
wir sie dabei in der Gegenwart auch konkret fühlen, wenn wir
uns also tatsächlich
in einer Problemtrance befinden.