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Auf dieser Seite finden Sie bereits veröffentlichte Artikel von Olaf Jacobsen. Alle
Inhalte drehen sich
mehr oder weniger um das Freie Aufstellen und daraus gewonnene
ausgewählte Erkenntnisse, Phänomene und Erfahrungen, die sich u.a. auch auf den Alltag übertragen lassen.
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Inhaltsverzeichnis
- "
Die Konsequenzen eines jungen Aufstellungsleiters", 2002
- "
Frei oder geführt? - Sind Aufstellungen
nur ein Fenster zur Entdeckung der überall vorhandenen Synchronizität?", 2005
- "
Das Potenzial zur Selbstentfaltung", 2006
- "
Missverstanden - Das freie Aufstellen ergänzt - Klärung zu den beiden Artikeln Heft 1/06 "Potenzial zur Selbstentfaltung"
und "Umsonst ist nichts", 2006, dieser Artikel wurde veröffentlicht unter dem Titel "
Das freie Aufstellen - eine Klärung"
- "
Frei ist nicht gleich frei - Was meint eigentlich das 'Freie Aufstellen'? - Über
den Unterschied zwischen Bewegungen der Seele, autopoietischem
Aufstellungsverlauf und freier Aufstellungsarbeit", 2007
- "
Verstrickte Gefühle - Familienstellen hilft", 2007
- "
Familienprobleme - oft nur Theater?" Unbewusste Rollenspiele erkennen und beenden, 2008
- "
Wünsche wecken Wirkungen und Wertungen", 2010
- "
Interview mit Olaf Jacobsen - von Ilka Baum", 2011
"Praxis der Systemaufstellung", Heft 2,
2002, S. 73 ff.
Die Konsequenzen eines jungen Aufstellungsleiters
Ich gehöre zu der Gruppe von
Aufstellungsleitern, über die diskutiert wird, ob sie
Aufstellungen leiten sollten oder nicht: Ich bin 35 Jahre alt, besitze
keinerlei Ausbildungen und Qualifikationen anerkannter therapeutischer
Art und habe in Aufstellungen sehr wenig praktische Erfahrungen
(Teilnahme an zwei Arbeitstagungen, an zwei kleinen Workshops und an
einem Aufstellungsseminar; eigene Aufstellungen mithilfe von Zetteln).
Ich fühle mich tief in meinem Inneren dazu "berufen",
Aufstellungen anzubieten, was ich auch erst seit August dieses Jahres
tue.
Bisher haben sich in dieser Zeitschrift zu dem Thema "Wer sollte
Leitungsaufgaben übernehmen und wer nicht?" hauptsächlich
Personen zu Wort gemeldet, denen man intensive und langjährige
Erfahrungen zuschreiben kann. Deswegen möchte ich an dieser
Stellen einen Teil der umstrittenen Gruppe repräsentieren, auch
wenn ich weiß, dass meine Sichtweise genauso subjektiv ist wie
die Sichtweisen der Erfahrenen und damit keine
Gruppen-Repräsentationskriterien erfüllen kann.
Ich beobachte die Diskussion über das Lehren und Lernen vom
Familien-Stellen seit der ersten Arbeitstagung 1997 in Wiesloch. Ich
selbst bin 1996 durch das Buch "Ordnungen der Liebe" das erste Mal auf
die Aufstellungsarbeit gestoßen und habe es nach dem Lesen sofort
mit Erfolg für mich und eine gute Freundin von mir angewendet
(mithilfe von Zetteln). Es hatte beim Lesen dieses Buches in mir
"klick" gemacht. Seitdem habe ich immer mal wieder mit mir allein in
meinem Zimmer Aufstellungen für mich selbst mit Zetteln
durchgeführt, die mir in der jeweiligen Problematik zu neuen
Lösungsansätzen verhalfen.
Warum funktioniert das auf so einfache Weise?
Eine Frage, die häufig gestellt wird. Doch eine allgemein
anerkannte Antwort steht noch aus, wir suchen noch. Inzwischen festigt
sich der Begriff "Resonanz" in diesem Zusammenhang immer mehr, und die
(alte, "weise") Weltsicht, dass wir unter der Oberfläche alle
miteinander verbunden sind, erhält allmählich für uns
durchschnittliche Bürger ihre Daseinsberechtigung. In dem Versuch,
die Phänomene der Aufstellungen zu erklären, gelangen wir
immer stärker zu Sichtweisen, die schon seit Jahrtausenden in
unterschiedlichsten Formen von Erleuchteten gelehrt werden. Unsere
Deutungsversuche dieser Phänomene lassen uns alle gemeinsam
schneller reifen, als es bisher auf den üblichen therapeutischen
Wegen möglich war.
Was sich in den letzten Jahren verändert hat
Mit tiefer Freude beobachte ich, dass mein innerer Widerstand gegen
bestimmte Interventionen von Bert Hellinger, den ich 1997 noch
fühlte, wenn ich ihn bei seiner Arbeit beobachtete, sich
inzwischen auflösten durfte durch die aktuellen "Bewegungen der
Seele", in denen Bert Hellinger dem Emotionsfluss der
Repräsentanten und Klienten wesentlich mehr Freiraum einräumt
als noch vier Jahre zuvor und auch in den Bewegungswünschen der
aufgestellten Personen einen tieferen Sinn entdeckt hat.
Des Weiteren freue ich mich über die Erkenntnisse, dass niemand
etwas "verspielen" kann. Wer als Aufstellungsleiter eine Person einfach
nach draußen schickt, weil sie verspielt hat (z.B. durch Mord),
hat den Schritt zur Integration dieser Person noch nicht wahrnehmen
können. Erst allmählich wird die Lösung bewusst, dass
der Täter mit dem Opfer durch die Tat untrennbar verbunden ist und
die Würdigung dieser Tatsache alle Beteiligten entlastet.
Auch die Bezeichnung "Missbrauch" löst sich in ihrer bisher
üblichen Bedeutung schrittweise auf. Es wird erkannt, dass
Missbrauch nichts anderes ist als das Wasser eines Flusses, das sich
durch einen gebrochenen Deich den Weg in das Hinterland sucht und damit
dieses Land überflutet und "missbraucht". Niemand macht dem Wasser
einen Vorwurf. Jeder sieht: Es folgt nur seinem Bedürfnis nach
Ausgleich. Und natürlich wird darum gekämpft, dass dieser
Missbrauch aufhört, doch nicht indem das Wasser beschimpft wird
und man sich davon emotional distanziert und hart wird und vom Wasser
Konsequenzen fordert, sondern indem man versucht, den Deich an der
Stelle wieder zu reparieren, durch die das Wasser fließen konnte.
Mit den Folgen des Deichbruches muss man leben. Die Konsequenzen zieht
man selbst: Man verstärkt den Deich.
Und ich frage mich: Wenn ich in der Gegenwart gegenüber der
Entwicklung der Aufstellungsarbeit so eine "Erleichterung" zu
fühlen in der Lage bin und mit meinem Widerstand vor fünf
Jahren eigentlich bereits diese Entwicklung im Voraus wahrnehmen (aber
nicht deuten) konnte, ist das dann nicht die beste Grundvoraussetzung
dafür, Aufstellungen zu leiten? Ich erkenne jetzt in meinem
damaligen Widerstand gegen bestimmte Interventionen eine
Wahrnehmungsfähigkeit durch mein Gefühl, die sich mir in
letzter Zeit dadurch bestätigt hat, dass die Aufstellungsarbeit
genau den Weg gegangen ist, den ich mir unbewusst gewünscht hatte.
Hätte ich vor 5 Jahren gleich Aufstellungsseminare angeboten und
hätte meinen Klienten damals schon diesen Freiraum zukommen
lassen, der sich jetzt in den "Bewegungen der Seele" und anderen
Entwicklungen zeigt, dann hätte ich mich nach meinem Gefühl
gegen die Arbeit von Bert Hellinger gestellt, denn wie kann ich
"unerfahrener" Mensch behaupten, ich wäre in dem Punkt einen
Schritt weiter als er?
Was ist Familien-Stellen wirklich?
Die Tatsache, dass ich "unerfahren" zu sein scheine, hat mich also
gebremst. Doch hätte ich diese Bremse nicht gehabt, sondern
wäre als Unerfahrener auf breiter Ebene von allen Erfahrenen zum
Aufstellen eingeladen und ermutigt worden in meinen Impulsen,
hätte dann das Feld der Aufsteller nicht noch schneller reifen
können, weil wir voneinander gelernt hätten? Erst jetzt, wo
ich mich durch die aktuelle Entwicklung bestätigt fühle, wage
ich den Schritt, der mir nach Meinung einiger Experten eigentlich immer
noch nicht zusteht: Ich müsse mindestens 50 Jahre alt sein und
eine grundlegende therapeutische Ausbildung und Qualifikation besitzen
(nach Aussage von Albrecht Mahr und anderen, die sich seiner Meinung
anschließen).
Ich möchte an dieser Stelle gleich direkt auf Albrecht Mahr
eingehen. In seinem Artikel "Überlegungen zur Weiterbildung im
Familien-Stellen und die Rolle der IAG" im letzten Heft (1/2002) nennt
er das Familien-Stellen ein "in Gruppen und im Einzelsetting
angewandtes psychotherapeutisches Heilverfahren". Wenn ich ihm in
dieser Bezeichnung zustimmen würde, dann würde ich ihm auch
in vielen seiner weiteren Gedanken darüber zustimmen.
Doch das Familien-Stellen ist kein psychotherapeutisches Heilverfahren.
Genauso wenig wie unsere menschliche Sprache ein Heilverfahren ist,
weil sie in Therapien angewandt wird. Des Weiteren sind das Weinen, das
Lachen, das Schreien, das Umarmen, das Verbeugen, das Fühlen, das
Augenrollen, die Musik, Rollenspiel, etc. auch keine Heilverfahren
einer Psychotherapie, nur weil sie im Verlauf einer Therapie auftauchen
oder angewandt werden. Dieser Irrtum ist meiner Meinung nach die
Ursache des Zwiespaltes unter den Aufstellern.
Was ist das Familien-Stellen dann?
Es ist eine Wahrnehmungsform für uns Menschen, die uns allen auf
neue Weise bewusst werden durfte. Wir können mithilfe fremder
Personen mehr über uns selbst und unser System, in dem wir leben,
wahrnehmen. Es ist eine neue Reflexionsmöglichkeit, die zwar schon
immer bestanden hat und auch den Menschen bewusst war, die gelehrt
haben, dass unsere Umwelt für uns einen Spiegel darstellt, doch
die nun viel gezielter eingesetzt werden kann. Wir können
über unsere eigene Person mit ihren Gleichgewichten und
Ungleichgewichten viel umfassender reflektieren und uns auf diese Weise
in neue und bessere Gleichgewichte bewegen.
Man kann Aufstellungen nicht mit einem Handwerk, einer Kunst oder einer
ärztlichen chirurgischen Fähigkeit vergleichen, die man
lernen muss. Dazu stehen Aufstellungen zu nahe am realen
alltäglichen Leben. Sie sind wie ein "Wachrütteln". Sie
bringen lediglich etwas an die Oberfläche, was bei jedem Menschen
bereits vorhanden ist.
Aufstellungen "wirken" nicht, sondern sie geben nur den Raum für
bereits vorhandene Wirkungen. So wie ein Spiegel uns nicht unser
Gesicht gibt, sondern nur den Raum dafür bietet, dass wir unser
Gesicht selbst sehen können. Ein Spiegelbild "wirkt" nur dadurch,
dass wir (oder unser Unbewusstes) eine Sache besser erkennen und darauf
gezielter reagieren können.
Ein Aufstellungsleiter kann uns diesen Spiegel auch nicht glätten
oder verzerren, denn er gehört dazu, er ist ein Teil des
Spiegelbildes. Im Endeffekt liegt es an uns selbst, ob und wie wir dem
gesamten Spiegelbild glauben und wie wir darauf reagieren.
Und jede äußere oder innere Reaktion von uns wirkt sich
durch die tiefe Verbundenheit aller Wesen automatisch auf diejenigen
aus, die auf besondere Weise mit uns verbunden sind, die mit uns auf
irgendeiner Ebene in Resonanz schwingen. So lassen sich auch die
"Fernwirkungen" erklären.
Ausbildung
Und wer möchte jetzt behaupten, es dürften nur "auf bestimmte
Weise ausgebildete Menschen" für andere einen Spiegel darstellen?
Und wer will feststellen können, wann dieses Spiegelbild stimmig
und wann es unkorrekt ist, oder welche "Qualität" es hat? Das kann
doch immer nur derjenige erleben, der dieses Spiegelbild zu Gesicht
bekommt. Nur der Betroffene kann erspüren, ob sich bei ihm etwas
löst oder etwas verschlimmert, ob sich ein innerer Widerstand regt
oder ob eine Erkenntnis befreit.
Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem bei der Überlegung, wer
Aufstellungen anbieten darf, nicht das Kriterium "Erfahrung", sondern
das Kriterium "Deutung". Es kommt auf die Sichtweise an, die ein Mensch
hat. An unseren eigenen Kindern dürfen wir erleben, dass es schon
in sehr jungem Alter Sichtweisen gibt, die uns erstaunen und sogar
befreien können.
Und wir spüren es auch eindeutig, wenn ein anderer Mensch etwas
deutet oder erklärt, was sich für uns nicht stimmig
anfühlt, was nicht löst.
Wer diesen Unterschied nicht selbst wahrnehmen kann, der ist sowieso
gefährdet, in irgendeinem Bereich des Lebens naiv auf
Erklärungen anderer Menschen hereinzufallen, nicht nur bei
Aufstellungen.
Ich stimme dem zu, dass jemand, der eine Weltsicht entwickelt hat, die
den Aufstellungen eher im Wege steht und Lösungen verhindert, eine
längere Ausbildung benötigt, um diese Sichtweise zu
lösen und zu korrigieren, denn er hat ja sein gesamtes Leben auf
dieser Sichtweise aufgebaut und muss nun das Loslassen lernen und sein
Leben langsam umordnen. Doch derjenige, der so eine Weltsicht hat, wird
mit Aufstellungen zunächst auch nicht viel anfangen können
und wird sie selten anbieten wollen. Tut er es doch, so stellt er
für naive Klienten einen passenden Spiegel und damit eine wichtige
Herausforderung dar. Von anderen Klienten wird er nicht ernst genommen
werden.
Und hat auf der anderen Seite jemand als Kind, als Jugendlicher und als
junger Erwachsener durch bestimmte Umstände bereits eine
Sichtweise entwickeln dürfen, die Aufstellungen von Anfang an
integrieren und in ihrem Verlauf unterstützen können, wozu
dann noch eine "Erfahrung", die eigentlich gar nicht mehr benötigt
wird?
Wer möchte behaupten, dass "Weisheit" im Alter liegt und nicht in
der stimmigen SIchtweise der Einheit und Verbundenheit zwischen allen
Wesen inklusive dem überall vorhandenen Bedürfnis nach
Ausgleich?
Der Hinweis eines Aufstellers, man brauche viele Erfahrungen, um
Aufstellungen leiten zu können, könnte ein Zeichen dafür
sein, dass er selbst viele Erfahrungen benötigt hat. Und nun geht
er davon aus, diesen Lebenslauf auf andere Menschen übertragen und
seine eigene Erfahrung generalisieren zu können.
Wirkt ein Lehrer, der auf irgendeiner Ebene denkt, der Schüler
müsse genauso lernen, wie er selbst gelernt hat oder wie es seiner
Ansicht nach stimmig ist, nicht eher abschreckend und unflexibel auf
den sensiblen Schüler?
Und fühlt sich der Schüler dadurch nicht eher unfrei
gegenüber seinen eigenen Methoden des Lernens und Wahrnehmens?
Es kommt darauf an, was der Schüler selbst gerne möchte.
Eventuelle Überlegungen zu einer "Ausbildung" müssten doch
eigentlich zuerst danach forschen, wo die Unsicherheiten eines
"Auszubildenden" sind, welche Fragen er stellt, welches Interesse oder
Bedürfnis er hat, wo genau die "Nachfrage" besteht.
Wie wäre es, einfach nur bereit zu sein, Fragen nach bestem Wissen
und Gewissen zu beantworten und sich selbst beobachten zu lassen? So
wie Bert Hellinger?
Das morphogenetische Feld der Aufsteller
Ist wirklich der Weg zur (eigentlich nicht in Worte fassbaren) "leeren
Mitte" nur über lange und intensive Reifung der
Persönlichkeit erreichbar? Oder gibt es da nicht auch noch das
morphogenetische Feld, das dafür sorgt, dass Menschen eine
Entwicklung schneller durchleben können, wenn bereits vorher
andere Menschen den Weg der Erkenntnis vorgebahnt haben?
Sollte Rupert Sheldrake mit seiner Theorie Recht haben, dann
müssten die erfahrenen Aufsteller eher zu den Unerfahrenen sagen:
"Wir haben lange gebraucht, um zu unseren Erkenntnissen zu kommen. Das
bedeutet für euch, dass die Wege nun gebahnt sind. Ihr werdet
schneller als wir zu diesen Erkenntnissen gelangen. Also folgt eurem
Gefühl und euren Impulsen, es kommt aus dem Kollektiv und wird
euch stimmig führen."
Wer an so eine Wirkung aus dem Kollektiv (oder auch der "großen
Seele") nicht glaubt, wieso glaubt er dann an die Wirkung einer
Aufstellung?
Verantwortungsübernahme
Wenn ein Aufstellungsleiter die Lösungsbilder aus seinem
Gefühl und seiner Meinung nach aus dem kollektiven Gewissen holt,
heißt das natürlich nicht, dass er nicht die Konsequenzen
seiner Taten zu tragen hat. Jeder muss die Folgen seiner Entscheidungen
tragen, ob er es möchte oder sich dagegen wehrt. Und wenn er sich
gegen bestimmte Folgen wendet, wird er erfahren, dass auch das seine
Folgen hat. Niemand kann sich dem überall vorhandenen Drang nach
Ausgleich entziehen. Wieso also machen sich darüber bestimmte
Personen Gedanken oder sprechen Warnungen aus, dass ein
Aufstellungsleiter große Verantwortungen tragen muss?
Erstens impliziert diese Warnung, dass Verantwortungsübernahme
für andere Menschen überhaupt möglich ist, und zweitens
trägt jeder lebende Mensch selbstverständlich und
unabänderbar große Verantwortung - aber immer nur für
sich selbst.
Meiner Meinung nach ist die Sichtweise, dass Therapeuten und
Aufstellungsleiter Verantwortung für andere Menschen tragen,
ebenfalls ein großer Irrtum, der ganz bestimmte Folgen hat. Eine
Folge des Bildes von Verantwortungsübernahme in der Therapie ist
z.B., dass daraufhin eine Form von Anhänglichkeit oder
Abhängigkeit oder Unselbstständigkeit des Klienten auftaucht,
für die wiederum der Therapeut die Verantwortung übernehmen
möchte, um sie zu lösen - ein Teufelskreis, durch den sich
die Psychotherapie selbst erhält. Existiert in einem Kontakt das
Bild, dass Verantwortung abgegeben oder übernommen werden kann, so
befindet man sich automatisch (als Trancezustand) in dem
Eltern-Kind-Verhältnis, das nicht lösbar ist. Die einzige
Lösung besteht in diesem Fall in der Aufklärung für den
Klienten, dass Verantwortungsabgabe eine Illusion ist und es nur die
wahren Eltern gibt und absolut keinen Elternersatz, nicht einmal durch
Lehrer oder Therapeuten.
Müsste der Hinweis von Aufstellern statt zu Kollegen ("Man braucht
Erfahrungen und Reife") nicht besser in folgende Richtung gehen: Jeder
Klient trägt selbst die Folgen für seine Entscheidung, sich
den Erkenntniswirkungen einer Aufstellung auszusetzen, und auch
für seine Wahl, wer sie begleitet?
Ist damit nicht sowieso schon das erste "therapeutische Ziel" erreicht?
Und ist damit nicht bereits der Nährboden für manch bindende
"Wut" eines Klienten auf den scheinbar Verantwortlichen für die
Problemlösung gleich von Beginn an entzogen? Und dann würde
sich vielleicht auch der typische hilflose Satz von Aufstellern "Man
kann hier nichts machen" verwandeln in "Ich kann hier nichts machen".
Liegt in dem gemeinsamen Bestreben aller "Begleiter", die Klienten als
Erstes in Bezug auf ihre Eigenverantwortlichkeit aufzuklären,
nicht mehr Kraft (egal wie widersprüchlich das auch ist), als wenn
im Gegensatz dazu die Aufstellungsleiter sich gegenseitig "Erfahrungen"
ab- oder anerkennen?
Für manche wäre das, wie wenn alle Handwerker zu ihren Kunden
zunächst sagen: "Sie können das auch selbst tun!" Dann
reagiert der eine Kunde vielleicht tatsächlich so und sagt: "O.k.,
ich probier´s mal. Vielleicht schaffe ich es. Danke für den
Tipp" - und geht.
Und ein anderer Kunde denkt sich: "Der ist aber seltsam. Ich suche mir einen anderen Handwerker" - und geht.
Ein dritter Kunde wird wütend, ruft im Weggehen: "Sie mich auch!" und schlägt die Tür hinter sich zu.
Aber es gibt auch Kunden, die sagen: "Ja, ich weiß, dass ich es
auch selbst könnte. Ich möchte aber gerne, dass Sie das
für mich tun. Ich zahle den Preis dafür" - und bleiben. Und
dann ist der Handwerker sich der Eigenverantwortlichkeit seines Kunden
sicher und damit frei, als Dienstleistender zu handeln. So kann die
Zusammenarbeit gelingen.
Übrigens: Dass man für das scheinbare Übernehmen von
Verantwortung für unterschiedlichste Menschen sehr viel Erfahrung
braucht, davon bin ich fest überzeugt! In diesem Fall kann man gar
nicht genug Erfahrung haben, um frei sagen zu können: "Ich (oder
die Aufstellung, die ich leite) bin qualifiziert und kann Ihnen Impulse
zur Lösung Ihres Problems geben."
Ich sage mit meiner wenigen Erfahrung: "Ich biete Ihnen als Organisator
die Möglichkeit an, eine Aufstellung durchzuführen. Was dabei
herauskommt, werden wir dann alle gemeinsam sehen und jeder für
sich deuten. Die Verantwortung für seine Entscheidungen und
für alle seine Erfahrungen während einer Aufstellung
trägt jeder Teilnehmer selbst."
Wäre das nicht ein entlastender Vorschlag auch für erfahrene
Aufsteller, auf diese Weise mit Aufstellungen und mit Teilnehmern
umzugehen? Denn so schauen Teilnehmer wesentlich mehr auf ihr eigenes
Gefühl als auf ihr "blindes" Vertrauen zu erfahrenen
Aufstellungsleitern aus einer Liste (die auch ihre schwarzen Schafe,
sprich: fragwürdig arbeitende Personen haben könnte, wie uns
Albrecht Mahr im oben genannten Artikel mitteilt, wenn man genau
hinschaut). Wer sich bewusst nach eigenem Gefühl für einen
Aufstellungsleiter entscheidet, kann besser die Verantwortung für
eine (scheinbare) Fehlentscheidung übernehmen, als wenn er sich
nach einer Liste richtet, die Qualifikation verspricht, aber nicht
immer in der Lage ist, sie auch einzuhalten (nobody ist perfect). In
letzterem Fall ist die Gefahr größer, dass ein Teilnehmer
sich hinterher ohnmächtig fühlt, weil er die Verantwortung an
den qualifizierten Aufstellungsleiter abgegeben hatte.
Unqualifikation
Ist diese Gefahr gegenüber Unqualifizierten nicht wesentlich
geringer, vorausgesetzt, sie verstecken ihr Unwissen nicht hinter einer
Fassade "scheinbarer" Erfahrung? Mir als Aufstellungsleiter mit wenig
Erfahrungen würde es leichter fallen, meine Unqualifikation offen
zu zeigen, wenn ich dabei die erfahrenen Aufsteller hinter mir
wüsste, und wenn ich wüsste, dass jeder Aufsteller die
Übernahme von Verantwortung gegenüber Teilnehmern von sich
weisen würde. Aus diesem Gefühl heraus "weiß" ich (als
Repräsentant der "anderen" Seite), dass der Ruf mancher Aufsteller
nach einer bestimmten Qualifikation in gewisser Weise die damit
bekämpfte Problematik eher verstärkt als löst.
Denn ein Neuling, der sich aus dem Feld nicht unterstützt
fühlt, hat die Tendenz, sein Neulingsdasein zu verstecken (was
natürlich im Endeffekt in seiner eigenen Verantwortung liegt).
Die Alternative, aufgrund weniger Erfahrungen keine Aufstellungen zu
leiten, funktioniert nicht, denn der Drang, dies doch zu tun, ist zu
groß. Es ist zu "nahe" am Leben dran, zu klar und zu einfach zu
verstehen und in den Alltag umzusetzen, zu intensiv in seiner
Erkenntniswirkung, als dass man es sein lassen könnte.
Sollten wir nicht dem Klienten seine Suche nach dem passenden
Aufstellungsleiter vollständig selbst überlassen, anstatt zu
überlegen, wie wir ihm in seiner Suche eine "Sicherheit" geben und
ihn dadurch vor seiner eigenen Naivität schützen könnten?
Ich habe bei der gegenwärtigen Situation das Bild eines Kindes,
das einen Erwachsenen imitiert, und der Erwachsene damit unzufrieden
ist.
Ein unqualifizierter Aufsteller gerät in die Versuchung, die
qualifizierten Aufsteller nachzuahmen und Verantwortung für andere
Menschen zu übernehmen. Und nun wehren sich manche Qualifizierten
dagegen oder übernehmen die Aufabe, öffentlich darüber
zu reflektieren, anstatt die Lösung selbst vorzuleben,
nämlich die Verantwortungsübernahme für Klienten
abzuweisen.
Noch etwas anderes: Gibt es da nicht einen Unterschied zwischen
jemandem, der mit dem Druck nach Qualifikation eine Arbeit ausübt,
und dem, der durch seine eigene Leidenschaft angeregt eine Arbeit
ausübt?
Ideal wäre natürlich derjenige, der durch seine Leidenschaft
zu Qualifikation gelangt, doch der fordert nicht von anderen eine
Qualifikation, sondern Leidenschaft.
In Resonanz mit anderen Aufstellern
Meine Konsequenz als junger Aufstellungsleiter gegenüber dieser
Diskussion unter erfahrenen Aufstellern, wer Aufstellungen leiten
sollte und wer nicht, ist folgende:
Bei denjenigen, die Ermutigungen aussprechen und uneingeschränkte
Unterstützung anbieten, fühle ich mich anerkannt, verstanden,
integriert und wohl. Dort schaue ich gerne hin und entwickle ein
Gefühl, durch das ich in Kontakt treten kann (entweder auf der
materiellen oder geistigen Ebene). Ich gehe ein Gleichgewicht zu ihnen
ein, gehe in "Resonanz".
Bei denjenigen, die Warnungen aussprechen, Grenzen setzen und der
Meinung sind, etwas "lehren" zu müssen, fühle ich mich nicht
verstanden, nicht integriert und unwohl. Dort schaue ich weg,
distanziere mich setze auch meinerseits Grenzen gegen diese Personen
und gehe davon aus, dass sie mir nicht hilfreich sein können, denn
ihre Deutungen sind mit Grenzen durchzogen. In diesem Fall bin ich
ebenfalls in eine Resonanz mit ihnen gegangen und befinde mich mit
ihnen in einem Gleichgewicht.
Ver sich mit Aufstellungen beschäftigt, wird entdeckt haben, dass
es einzig und allein um Integration geht, also um das Auflösen der
Illusion von Grenzen. Und diese Integration führt von selbst zu
Ordnungen, die befreien, zu Grenzen, die nicht begrenzen, zu
Unterschieden, die dazugehören.
Im Angesicht der nicht von Menschen gemachten (nur entdeckten)
Phänomene von Aufstellungen sollte es nicht um die Frage gehen wer
qualifiziert ist, sondern wir sollten alle zusammenarbeiten und uns
gegenseitig mit dem Material achten, mit dem jeder auf seine Weise an
Aufstellungen herangeht. Nur eines sollte ausgeschlossen werden: der
Ausschluss.
Am meisten freue ich mich und fühle mich wohl und frei in der
Resonanz mit denjenigen, die in jedem Gegenüber das
vollständige Potenzial zum Fühlen und Wahrnehmen erkennen
können, ohne dabei an Ausbildung oder Weiterbildung zu denken.
Jeder Mensch
ist,
und das macht ihn automatisch zum wahrnehmendenen und fühlenden
Wesen. Und deswegen trägt auch jeder selbst die Verantwortung
für seine eigenen Gefühle, Wahrnehmungen und die daraus
resultierenden Handlungen.
Die Sorge, dass ein Aufstellungskollege mit wenig Wissen Unheil
anrichten könnte, ist nach meiner Sichtweise eine Folge von
verschobener Verantwortungsübernahme. Diese Sorge ist
normalerweise ein Gefühl von Eltern gegenüber ihren Kindern.
Rückgabe einer Last
Einige Aufsteller benutzen das Ritual, eine "Last" in Form eines
Kissens oder eines Steins oder eines anderen Symbols wieder an die
Person zurückzugeben, von der sie ursprünglich kommt.
Oft wird berichtet, dass dabei ein Widerstand auftritt.
Entweder es fällt einem schwer, diese Last zurückzugeben,
oder das Gegenüber mag diese Last nicht so recht zurücknehmen.
Ich persönlich meine, dass das Übernehmen einer Last eine
Illusion ist, eine "Fehldeutung". Und weil das Übernehmen einer
Last eine Illusion ist, kann auch keine Last zurückgegeben werden.
Die versuchte Rückgabe muss auf irgendeiner Ebene zu Widerstand
führen, weil man in Wirklichkeit einen Teil von sich selbst
abgibt, ohne ihn in seinem positiven Sinn gewürdigt zu haben.
Schon alleine das Wort "Last" beinhaltet etwas Negatives, das
voraussetzt, dass hier etwas "falsch" gelaufen ist. Es übersieht
den übergeordneten Sinn dieser Last. Sie wird nicht anerkannt und
in ihrer Existenz gewürdigt. Sie wird nicht als "zu lernende
schwere Aufgabe" gesehen.
Wenn also eine Last gar keine Last ist, was schlage ich als alternative Deutung vor?
Derjenige, der eine Last von einem Elternteil übernommen zu haben
scheint (ein Schicksal oder eine Krankheit), ist in Wirklichkeit nur
ein "Gleichgewicht" zu diesem Elternteil eingegangen (Ergänzung
2006: ... hat sich seinen Eltern und deren Schicksal "zur
Verfügung gestellt").
Wäre tatsächlich eine Last übernommen worden,
müsste es doch beim Elternteil befreiend wirken, doch das tut es
meistens nicht. Man geht einfach nur ein Gleichgewicht zum Schicksal
des anderen ein - aus Liebe, aus dem Wunsch, den anderen verstehen zu
können, aus dem Wunsch, das Problem am Ende lösen zu
können. Würde man das nicht tun, so wäre ein Gefühl
von Distanz und Ausschluss da, für das man nicht bereit ist. Und
da man nicht bereit ist zur "Abkoppelung", lebt man so lange in diesem
(Un-)Gleichgewicht, bis man an und in diesem Schicksal gereift ist und
danach sagen kann: Ich habe etwas erkannt und gehe dadurch nun einen
(scheinbar) getrennten Weg von dir (bisher: Ich gebe die Last an dich
zurück).
Der gemeinsame Weg, die gemeinsame Last war eine notwendige
Reifungszeit, die nicht wieder zurückgegeben werden kann, sondern
unabänderlich zum eigenen Lebensweg gehört und zu dieser
Erkenntnis geführt hat. Eine Last ist nichts weiter als eine
schwere Aufgabe, die man noch nicht gelöst hat und gegen die man
sich wehrt und sie verschieben wil, weil sie so schwer ist. Doch man
wird immer wieder mit dieser Aufgabe konfrontiert, bis sie gelöst
und vollständig integriert ist. Dann ist es ganz "leicht", und die
Last ist verschwunden, auch für die nachfolgende Generation.
Haben die Eltern diese Aufgabe nicht lösen können,
müssen die Kinder weiterknobeln, denn sie kennen ebenfalls die
Lösung noch nicht und werden vom Leben damit konfrontiert. Eine
Erkenntnis kann es auch sein, wenn man entdeckt, dass man selbst diese
Aufgabe nicht lösen kann, weil sie in der Generation davor
gestellt wurde. Doch dann muss man nichts mehr zurückgeben. Diese
Erkenntnis genügt und löst von selbst. (Ergänzung 2006:
Heute weiß ich, dass der Satz "Ich stehe dafür nicht weiter
zur Verfügung" eine genial befreiende Wirkung haben kann, wenn man
zu dem schmerzhaften Schicksal eines anderen Menschen ein Gleichgewicht
eingegangen war. Nun steht man diesem Schicksal nicht weiter zur
Verfügung, versucht nicht mehr, es zu lösen,
überlässt die Lösung vollständig demjenigen, der
das Schicksal trägt und zu dem es gehört. Siehe auch mein
Buch "Ich stehe nicht mehr zur Verfügung").
Hauptziel ist meiner Meinung nach das Erreichen einer bestimmten, von
selbst lösenden Erkenntnis, und Aufstellungen unterstützen
uns darin (eben wie ein Spiegel).
Dabei kann eine Erkenntnis sowohl das Anerkennen vergangener
schmerzvoller Ereignisse wie auch das Anerkennen kraftvoller Ressourcen
für die Gegenwart oder die Zukunft bedeuten. Die Möglichkeit
der Erkenntnis beinhaltet immer sowohl das Aufdecken und Ausleben einer
vorhandenen Schmerzquelle als auch das Aufdecken und Ausleben einer
vorhandenen Kraftquelle, je nachdem was gerade gesehen werden will. Und
beides führt zum jeweils passenden Zeitpunkt in ein neues
Gleichgewicht.
In Bezug auf eine scheinbar übernommene Last ist es oft der
große Schmerz "Ich kann dir nicht helfen, und das tut mir so
weh!", den man noch nicht erkannt hat oder nicht zulassen kann, und
deshalb lieber an dem Gleichgewicht zu dieser Last festhält.
Ein Therapeut, der diesen Satz nicht sagen kann, sondern an seiner
Hilfe für einen anderen Menschen festhält, meint,
Verantwortung für diesen anderen Menschen zu haben.
Das Loslassen dieser Verantwortung würde ihm selbst wehtun.
Außerdem führt dieser unausgelebte Schmerz zu einer gewissen
"Härte" gegenüber dem Klienten, wenn der Therapeut sich
machtlos zu fühlen beginnt. So ähnlich wie Eltern, die sich
gegenüber dem Verhalten ihres Kindes machtlos fühlen, aber
nicht loslassen (nicht trauern) können und hart (trotzig) werden.
Konnte dieser Schmerz erkannt und ausgelebt und entlasstet werden, ist
man fähig, zu seinen Kindern oder seinen Klienten oder auch seinen
Eltern (zu denen man ein Gleichgewicht eingegangen war) zu sagen:
"Ich habe durch die Last gelernt. Nun habe ich etwas erkannt, habe
ausgelernt und gehe einen neuen Weg, lerne etwas Neues. Ich erkenne
deinen Weg an und gehe dadurch meinen."
Oder ganz einfach und mit Liebe: "Ich habe erkannt, dass ich dir nicht
helfen kann, und das tut mir sehr Leid."(Ergänzung 2006: ...oder
"Ich stehe für dieses Gefühl / dieses Verhaltensmuster /
diese Hilfe nicht mehr zur Verfügung.")
In diesem Sinne sage ich hier zu denjenigen erfahrenen Aufstellern, die
gerne Verantwortungen für das Feld der Aufsteller übernehmen:
"Ich habe erkannt, dass ich euch in eurer Sichtweise nicht
unterstützen kann, und das tut mir sehr Leid. Bitte, schaut
freundlich zu mir, wenn ich mich jetzt entscheide, die Vorstellung von
einer langen Ausbildung und Reifung loszulassen; und auch die
Vorstellung von der Möglichkeit, für andere Menschen
Verantwortung zu übernehmen, weglasse; und wenn ich dadurch nun zu
euch ein (scheinbares) Ungleichgewicht eingehe und mithilfe meines
Gefühls und sehr wenigen Erfahrungen Aufstellungen organisiere,
anbiete und so leite, wie es zu dem Zeitpunkt für alle stimmig
ist. Ich danke euch dafür, dass ihr die Wege gebahnt, Erfahrungen
gesammelt, Bücher und Seminare angeboten, Videos hergestellt und
insgesamt unser morphogenetisches Feld der Aufstellungen
weiterentwickelt habt. Ohne das alles könnte ich jetzt nicht
diesen Schritt tun."
Ich wünsche mir, dass in dem ständig wachsenden Feld der
Aufsteller der Begriff "Erfahrung" im Laufe der Zeit zweitrangig wird
und an die erste Stelle das Bild von "Antennen" treten kann. Jeder
Mensch ist zu jedem Zeitpunkt eine Antenne für Intuitionen, in
Resonanz mit seiner Umwelt, durch seine eigene Sichtweise eingestellt
auf bestimmte Frequenzen. Und egal, was empfangen und wie es gedeutet
wird, es hat immer seinen Ursprung im Kollektiv.
Ein Ende dieser Ent-Wicklung wäre, dass jeder Mensch sich selbst
als Aufstellungsleiter seiner eigenen Lebensaufstellung erleben kann.
In diesem Moment wäre das Aufstellen in den Alltag integriert, und
jeder hätte das erkannt, was Matthias Varga von Kibéd und
Insa Sparrer bereits beschrieben haben: Aufstellungen finden immer und
überall statt (auch ohne Aufstellungsleiter).
Unser Umfeld ist immer ein Spiegelbild zu unserem Inneren, es geht
ständig ein Gleichgewicht zu unseren eigenen unerlösten
Wünschen nach Integration ein, ohne Ausnahme. Wir haben die volle
Verantwortung für das, was uns begegnet und wie wir darauf
reagieren.
Und gleichzeitig kommen unsere Wünsche aus dem Kollektiv, sind mit dem Kollektiv in Resonanz, im Gleichgewicht.
Das ist die Faszination des Lebens und des Aufstellens
gleichermaßen: das Erlebnis von Selbstständigkeit und
gleichzeitig von absolutem Eingebundensein.
Aufstellen ist konzentriertes Leben.
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"Systemische Aufstellungspraxis"
Heft 1, 2005, S. 28 ff.
(die Zeitschrift gibt es inzwischen nicht mehr)
Frei oder geführt ?
Sind Aufstellungen
nur ein Fenster zur Entdeckung der überall vorhandenen Synchronizität?
Wie lehrt oder lernt
man den Umgang mit
Aufstellungen? Wie kann man die Qualität von Aufstellungen
erhöhen und ihre Wirkungen optimieren? Wie funktionieren
Aufstellungen am besten? Wie ist die rechte innere Haltung als
Aufstellungsbegleiter? Welche Intervention unterstützt den
Erkenntnis- und Entwicklungsprozess der aufstellenden Person?
Ein eher zufälliges Experiment hat mich mit einem Schlag von all
diesen Fragen befreit und mein Weltbild in eine vollkommen neue
Richtung gelenkt.
Ich wollte mit 3 Freunden eine Glaubenspolaritätenaufstellung
(nach Varga von Kibéd und Sparrer) durchführen. Dazu
wären 4 Stellvertreter nötig gewesen: der Fokus und die Pole
Liebe, Erkenntnis und Ordnung. Mir standen jedoch nur 3 Personen zur
Verfügung, und so nahm ich gleich selbst meinen Platz als Fokus
ein. In letzter Zeit habe ich das "verdeckte" Aufstellen schätzen
gelernt, bei dem die Stellvertreter nicht erfahren, wen sie darstellen
sollen, und sich trotzdem "stimmig" verhalten. Bisher war ich davon
ausgegangen, dass die innere Vorstellung der aufstellenden Person
telepathisch auf die Stellvertreter wirkt. Denn diese Person ist beim
verdeckten Aufstellen der einzige Mensch, der weiß, wen die
Stellvertreter vertreten. Sie bestimmt selbst und gibt innerlich den
Stellvertretern ihre Rollen.
Als ich bei meiner geplanten Polaritätenaufstellung nun gleich
selbst meinen eigenen Platz als Fokus einnahm, wollte ich jedoch
trotzdem meine Unkenntnis darüber bewahren, welcher Stellvertreter
welchen Pol darstellte, um "unbeeinflusst" meine Gefühle
gegenüber diesen Polen wahrnehmen zu können. Und so kamen wir
auf die Idee, die Pole auf Zettel zu schreiben und jeden Stellvertreter
einen Zettel ziehen zu lassen, ohne dass jemand nachschaute, was auf
diesem Zettel stand. In dieser Aufstellung hatte also jeder
Stellvertreter einen Zettel in der Hosentasche, keiner wusste, was auf
seinem Zettel stand, und auch ich wusste nicht, wer welchen Pol
darstellte: eine "Doppelblind-Aufstellung".
Ohne außenstehende Begleitung - nur im gemeinsamen Austausch
untereinander - ließen wir unseren Gefühlen freien Lauf, und
die Aufstellung bewegte sich ganz autonom bis zu einer mir sehr
angenehmen Lösung. Am Ende ahnte ich, wer welchen Pol darstellte.
Ich gab Tipps ab ... die Stellvertreter schauten auf ihre Zettel ...
und es stimmte!
Wie war das möglich?
Ich beschloss, in meiner Experimentiergruppe dieses Phänomen zu
überprüfen. Wir führten Aufstellungen durch, in denen
die Stellvertreter verdeckte Zettel mit von der aufstellenden Person
notierten Rollenbezeichnungen zogen, ohne sie anzuschauen. Aufgrund des
anfänglichen Verhaltens der Stellvertreter gab dann nach einer
gewissen Zeit die aufstellende Person einen Tipp ab, wer welche Person
oder welches Element repräsentierte. Die Trefferquote war
erstaunlich hoch. Und vor allem: Dort, wo die Tipps verkehrt waren,
konnte die aufstellende Person trotzdem der durch die Zettel
aufgedeckten Rollenverteilung zustimmen. Oft kam eine Fehldeutung
dadurch zustande, dass bestimmte Verhaltensdynamiken auf mehrere
Stellvertreter zutrafen.
Auffällig war zusätzlich, dass keine aufstellende Person klar
sagen konnte, dass das Verhalten eines Stellvertreters mit seiner am
Schluss aufgedeckten Rolle absolut nicht übereinstimmte.
Es passte nachträglich immer und ergab einen Sinn.
Wie kann ein Stellvertreter unbewusst eine Rolle stimmig darstellen,
wenn niemand im Raum weiß, wen oder was er überhaupt
vertritt? Nur ein verdeckter Zettel in der Hosentasche des
Stellvertreters enthält die Information. Bedeutet das nun, dass
Stellvertreter diese Information "erspüren" können?
Doch welche Interpretation am besten zu diesem (für jeden
nachprüfbaren) Phänomen passt, muss wohl jeder für sich
selbst entscheiden. Welche Deutung, welches Weltbild ist für ihn
stimmig?
Für mich war diese Entdeckung des so klaren "Nicht-Zufalls" das
Tüpfelchen auf dem i. Ich hatte schon vorher in meinem Alltag
immer deutlichere Erlebnisse, in denen ich Synchronizitäten
entdeckte, die keiner Ursache-Wirkung-Erklärung Raum gaben. Z.B.
beschäftigte ich mich einen Tag lang mit einem bestimmten
persönlichen Thema. Als ich dann in den späten
Nachmittagsstunden in einer Pause den Fernseher anschaltete und eine
Star-Trek-Folge ansah, wurde ich auch hier mit dem gleichen Thema
konfrontiert. Die Raumschiffcrew durchlitt genau das, was mich schon
den ganzen Tag beschäftigte. Mehr noch: Das Happy-End gab mir eine
Lösung.
Ich denke an die vielen "stimmigen" Momente, in denen ich zu
Tarotkarten, Engelkarten oder zum I-Ging griff, um Hilfen für
meine gegenwärtigen Launen zu erhalten. Warum bewegen mich die
Antworten, die ich von spontan gezogenen Orakel-Karten erhalte, tief in
meiner Seele und passen zu meiner Situation? Zu meinen Fragen?
Zufall? Telepathie? Beeinflussung?
Nein, für mich passt jetzt nur noch ein Begriff:
Synchronizität. Und diese Synchronizität ist genau das, was
uns in Aufstellungen besonders intensiv begegnet. Warum? Weil wir hier
gezielt unsere Aufmerksamkeit darauf lenken. Doch sie ist überall
vorhanden. Wir brauchen auch im Alltag nur unsere Aufmerksamkeit auf
sie zu richten. Und ich behaupte: Dort, wo wir keine
Synchronizität entdecken, ist sie trotzdem vorhanden. Wir Menschen
sind nur auf unseren kleinen Horizont beschränkt und können
sie in diesem Moment noch nicht bewusst wahrnehmen. Jede
Horizonterweiterung, jede Bewusstseinserweiterung, jeder
Entwicklungs-prozess führt automatisch zu immer häufigeren
Erkenntnissen von Synchronizität - weil sie einfach überall
vorhanden ist, in jedem kleinen Detail und in jeder übergeordneten
Gesamtdynamik.
Was ist jetzt für mich die Konsequenz, die sich aus diesem neuen
Weltbild ergibt?
Das Universum ist perfekt - wir können (oder wollen oder
müssen) es nur nicht immer sehen. Jedes Geschehnis hat seinen
Platz, gehört dazu, hat seinen Sinn und Zusammenhang.
Das "Falsche", die "Fehler", das "Schlechte", das "Böse", das
"Zu-Vermeidende" sind nur Zeichen von gezogenen Grenzen. Alles, was
innerhalb dieser Grenzen gesehen wird, gehört dazu und ist
"richtig". Alles, was außerhalb dieser Grenzen eingeordnet wird,
gehört nicht dazu und ist falsch.
Gibt es keine Grenze, dann gibt es auch keine Wertung - und das
Universum wird als absolut vollkommen erkannt, in perfekter Harmonie
mit sich selbst. Auf dieser Ebene gibt es keine Ziele, für die der
eine Weg richtig und ein anderer Weg falsch wäre. Man "ist"
einfach nur. Das "Sein" ist das einzige, das ohne Wertung ist, denn es
gibt kein "Nicht-Sein", also kein Bereich, der ein "falsches Sein"
wäre.
Da wir in Aufstellungen oft einfach nur "sind", anders als in
alltäglichen Situationen mit unseren Zielen, Wünschen und
Vorstellungen, zeigt sich uns hier viel deutlicher die
Synchronizität. Besonders aber, wenn man mutig Aufstellungen ohne
jegliche Wertungen (d.h. ohne Grenzen, Beschränkungen, Regeln,
Richtlinien, Überzeugungen, Befürchtungen, ...)
ermöglicht. Gerade bei solchen "freien" Aufstellungen kann durch
gezielte Beobachtungen und Benennung aller Geschehnisse in der
Aufstellung und um die Aufstellung herum die Fasziniation von
Synchronizitäten erlebt werden.
Wer von der Ebene der Synchronizität auf die anderen Ebenen
schaut, in denen Ziele, Grenzen, Vorstellungen, Wertungen, ...
vorhanden sind, kann diese erkennen als einfache Formen, die zu allem
dazugehören und nichts anderes "sind" als eben Formen, die
begrenzen.
Bisheriges Weltbild: Es kann derjenige Aufstellungsleiter am besten
seinen Teilnehmern helfen, der achtungsvoll auf die Schicksale seiner
Teilnehmern schaut, absichtslos handelt, sich selbst und seine eigenen
Vorstellungen zurückhält, ein fundiertes
psychotherapeutisches Wissen besitzt, viele Erfahrungen vorweisen kann,
eine offene Haltung zeigt, mutig und freundlich ist, keine Dogmatik an
den Tag legt.
Dazu im Vergleich das Weltbild der Synchronizität: Die
Synchronizität findet auch ohne Aufstellungsleiter statt. Eine
Aufstellung kann genauso gelingen und wirken, wenn sich ein paar
Menschen zusammentun und sich gegenseitig als Beobachter oder als
Stellvertreter Gefühle, Sichtweisen und Handlungsvorschläge
anbieten. Ausschlaggebend sind die Erkenntnisse, die der Aufstellende
zum für ihn passenden Zeitpunkt für sich selbst gewinnt.
Ein qualifizierter Aufstellungsleiter wird in dem Moment benötigt,
wenn Menschen nach ihm suchen, wenn sie also ein Ziel in Verbindung mit
bestimmten Vorstellungen haben. In diesem Fall sind auch Wertungen und
Grenzen vorhanden, aus denen heraus man sagt, dass ein unqualifizierter
Aufstellungsleiter schlecht (dem Ziel nicht dienlich) und ein
Qualifizierter gut (dem Ziel dienlich) ist.
Des Weiteren wird im Weltbild der Synchronizität gesehen, dass ein
"Fehlverhalten" eines Leiters genau in dem Moment auftaucht, in dem
TeilnehmerInnen oder auch der Leiter selbst aus diesem Fehlverhalten
lernen wollen/sollen. Synchronizität. Perfektion des Universums.
Bisheriges Weltbild: Man kann das Aufstellen erlernen. Es werden dazu
unterschiedliche Ausbildungskurse angeboten.
Weltbild der Synchronizität: In einer Ausbildung für
Aufstellungen lernt man die Ziele, Vorstellungen und Grenzen des
Weltbildes desjenigen kennen, der die Ausbidlung durchführt.
Was passiert, wenn jemand von der "Tiefe" einer Aufstellung
schwärmt? Er wertet. Er geht davon aus, dass es Aufstellungen
gibt, die weniger tief sind, vielleicht sogar flach, lasch,
oberflächlich oder chaotisch.
In diesem Fall kann man eine momentane Grenze in seinem Weltbild
erkennen. Er selbst ist durch diese Grenze nicht in der Lage, die
Oberflächlichkeit oder das Chaos einer Aufstellung als stimmige
"Tiefe" zu sehen. Denn eine scheinbar oberflächliche Aufstellung
kann eine bestimmte Synchronizität zu der aufstellenden Person
zeigen. Wenn man dies erkannt hat, kann man auch das
Oberflächliche und Chaotische für einen "tiefen"
Erkenntnisprozess nutzen.
Was ist, wenn jemand enttäuscht berichtet, eine Aufstellung habe
nicht gewirkt? Er wertet. Er geht davon aus, dass es Aufstellungen ohne
jegliche Wirkung gibt.
In diesem Fall kann man eine momentane Grenze in seinem Weltbild
erkennen. Er selbst ist dadurch nicht in der Lage, z.B. die Erkenntnis
der Wirkungslosigkeit selbst oder sogar seine Enttäuschung als
eine bestimmte Form der Wirkung zu erkennen.
Was geschieht, wenn jemand euphorisch von einer "freien" Aufstellung
spricht? Er wertet. Er geht davon aus, dass es Aufstellungen gibt, die
unfrei sind, eingeengt, begrenzt.
In diesem Fall kann man eine momentane Grenze in seinem Weltibld
erkennen. Er selbst ist durch diese Grenze nicht in der Lage, die
Beschränkungen in einer Aufstellung als eine bestimmte Form zu
erkennen, die der aufstellenden Person etwas geben oder spiegeln und
somit dem Erkenntnis- und Wachstumsprozess dienen kann.
Und was ist, wenn jemand wertend feststellt: Hier wertet ein Mensch? Es
geht davon aus, dass Wertung etwas Negatives ist und erkennt nicht,
dass sie auch dazugehört und für wichtige Erkenntnisprozesse
genutzt werden kann. Unterschiede, Grenzen, Wertungen gehören zum
Lebensprozess. Sie "sind".
Jede Freiheit ist geführt. Und jede Führung ist frei
gewählt. Synchronizität ist überall. Und wir erkennen
sie dort, wo wir diese Erkenntnis benötigen. Alles gehört
dazu, selbst der Ausschluss und die Grenze. Alles ist, was es ist.
Selbst wenn wir die Synchronizität nicht erkennen, so gehört
auch das dazu.
"Die Perfektion des Universums zeigt sich in der Synchronizität.
Je mehr wir die Synchronizität erkennen, desto mehr erkennen wir
die Perfektion des Universums" (Jacqueline Schwindt, Aufstellerin)
Für mich stellt sich nicht mehr die Frage: Wie gelingen
Aufstellungen? Sondern ich frage mich: Wie gelingen lösende
Erkenntnisse?
Hat eine Erkenntnis eingeschlagen, erkenne ich oft hinterher, dass es
gar nicht anders hätte kommen können - nicht früher und
nicht später. Das Universum ist perfekt ...
... und egal, was
jetzt für weitere Gedanken
oder Widersprüche oder Einwände oder Ergänzungen
entstehen: Auch das gehört dazu, "ist" einfach und kann für
den eigenen Erkenntnis- und Wachstumsprozess genutzt werden.
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"Systemische Aufstellungspraxis" Heft 1, 2006, S.47 ff.
Das Potenzial zur Selbstentfaltung
Ich
erlebe bei meinen Aufstellungsworkshops immer wieder folgenden
Aufstellungsablauf unterschiedlicher Personen:
Ein(e)
Teilnehmer/in hat sich selbstständig überlegt, was sie
aufstellen möchte. Sie erzählt niemandem, um welches Thema es
geht, sucht sich Stellvertreter aus der Gruppe und teilt auch diesen
nicht mit, wen sie repräsentieren sollen: eine "verdeckte"
Aufstellung. Selbst ich als Moderator bin nicht eingeweiht.
Die
Stellvertreter dürfen sich von Anfang an frei bewegen und allen
Impulsen folgen. Es entwickelt sich ein improvisiertes Rollenspiel. Die
Stellvertreter kommunizieren miteinander, teilen ihre Gefühle mit,
bewegen sich - und die aufstellende Teilnehmerin sitzt beobachtend am
Rand, stellt ab und zu eine Frage, probiert selbst manchmal etwas aus,
ist berührt von dem, was sich in den Handlungen der Stellvertreter
zeigt, weint intensiv, während allmählich in der Aufstellung
eine Versöhnung zum Vorschein kommt. Und am Ende fühlen alle
Stellvertreter: Jetzt ist es gut, die Aufstellung hat ein neues und
harmonischeres Gleichgewicht erreicht. Die aufstellende Teilnehmerin
fühlt Dankbarkeit für alles, was sich gezeigt hat.
Ich
als Moderator und auch alle anderen passiven Teilnehmer saßen
schweigend am Rand und beobachteten alles. Keiner hatte eingegriffen.
Keiner wusste, worum es ging - nur die aufstellende Teilnehmerin wusste
Bescheid, konnte bewusst alles mitleben und mitdenken. Und
die Lösung entwickelte sich ganz allein, ganz selbstständig,
ganz autonom, "autopoietisch", ganz frei zwischen den
Stellvertretern und der aufstellenden Teilnehmerin.
Wenn
solche Aufstellungen immer wieder möglich sind, dann ist meine
Konsequenz als Moderator aus dieser Erfahrung folgende:
Ich
möchte diesen Prozessen so gut wie es geht nicht im Wege
stehen. Ich gehe also immer zu Beginn jeder Aufstellung davon
aus, dass sie ganz selbstständig ablaufen kann, ohne dass meine
Hilfe und Impulse überhaupt gebraucht werden. Ich bin
überflüssig. Das ist meine Grundhaltung.
Nur wenn Fragen auftauchen, auf die ich in mir Antworten spüre,
oder sich Ungleichgewichte zeigen, die sich nicht von selbst zu
lösen scheinen, dann stelle ich meine Antworten und Impulse der
aufstellenden Person und ihrer Aufstellung zur Verfügung und
überlasse es anschließend wieder ihr, wie sie ganz autonom
mit meinen Antworten umgehen möchte. Solange sie keine weitere
Frage hat und sich kein weiteres Ungleichgewicht aufrechterhält,
zu dem ich eine Idee spüre, bin ich wieder überflüssig.
Deswegen
nenne ich die Form der Aufstellungen, die ich für sehr geringe
Teilnahmegebühren organisiere und begleite: "Das freie Aufstellen".
Aus
dieser Grundhaltung heraus kann ich verstehen, dass Aufstellungsleiter,
die für ihre Aufstellungsseminare hohe Gebühren verlangen, es
möglicherweise schwer haben, sich selbst grundsätzlich als
überflüssig zu sehen. Es könnte der Konflikt
auftauchen: "Wenn ich eigentlich gar nicht nötig bin und die
Aufstellungen das Potenzial besitzen, für sich selbst zu sorgen,
wofür werde ich dann noch bezahlt?" Ist ein Aufstellungsleiter,
der hoch bezahlt wird, nicht automatisch in der Pflicht, etwas zum
Ausgleich zu leisten? Und werden durch diese Pflicht des Leiters den
Freien Aufstellungen nicht auch gleichzeitig "Grenzen" gesetzt?
Könnte es sein, dass diese Pflicht oft als "Verantwortung"
missverstanden wird?
Ich
behaupte: Der Preis für das Verlangen hoher Gebühren ist die
Begrenzung des oben aufgezeigten Potenzials zur freien
Selbstentfaltung. Nur wer bewusst absichtlich innerhalb dieser
Begrenzung arbeitet und gleichzeitig die Möglichkeit der
Entgrenzung anerkennt, ohne sie zu wählen (die Kraft des
Nichtgewählten in das Gewählte fließen lassen), kann
sein eigenes Potenzial innerhalb dieser selbstgewählten Grenzen
voll entfalten. Doch das freie Aufstellen zulassen und sich selbst als
überflüssig erleben könnte in solch einem Rahmen schwer
fallen.
Das
freie Aufstellen findet bei mir in kostenlosen Wochenend-Workshops
statt, die auf Spendenbasis angeboten werden, und in Kurzworkshops
(regelmäßig mittwochs 3 Stunden), die 12,- Euro Eintritt
kosten.
Kann
ich von dem Organisieren solcher Workshops leben? Nein. Aber ich lebe in
ihnen und zahle gerne dafür den Preis, den es mich kostet. Denn
ich kann mich dort - umgeben von genialen Impulsen des Universums -
selbst immer weiter entfalten.
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______________________________
Reaktionsschreiben auf den Artikel von Antje Jaruschewski "Umsonst ist nichts ... " in "Systemische Aufstellungspraxis" Heft 1/2006
25.4.2006 (veröffentlich in Heft 3/2006, "Systemische
Aufstellungspraxis" unter dem von der Redakteurin A.Jaruschewski
veränderten Titel "
Das freie Aufstellen - eine Klärung")
Missverstanden
Das freie Aufstellen ergänzt
Klärung zu den beiden Artikeln Heft 1/06 "Potenzial zur Selbstentfaltung"
und "Umsonst ist nichts"
Liebe Antje Jaruschewski,
im Heft 1/06 schrieben Sie einen Artikel als Erwiderung auf meinen Artikel.
Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen, Missverständnisse zu
klären, und dadurch meine Person - und damit auch das 2002 von mir ins Leben
gerufene Freie Aufstellen - wieder in ein stimmiges Licht rücken. Natürlich
frage ich mich, was ich getan oder gelassen habe, so dass mein Artikel
missverstanden wurde. Und so möchte ich nun an dieser Stelle meine
Ungleichgewichte wieder ausgleichen.
Sie haben sich gefragt, worum es in meinem Artikel geht. Daraufhin haben
Sie sich selbst eine Antwort gegeben
(Anmerkung: Dieser folgende kurze Absatz wurde nicht veröffentlicht:)
und als Redakteurin des Heftes meinem
Artikel eine Nebenüberschrift gegeben, die nicht von mir stammt und auch nicht
mit mir abgesprochen war: "Sind Aufstellungsleiter überflüssig, dürfen
Aufstellungen etwas kosten? Engt diese Weltsicht ein?"
Ich verstehe, dass mein Artikel provoziert und dass ich nicht dafür gesorgt
habe, die mögliche Provokation zu verhindern. Ich habe den Wunsch, dass
Aufstellungsleiter darüber nachdenken, dass es im großen Spektrum der
Aufstellungen auch einen Bereich gibt, der oft übersehen, vielleicht auch gering
geachtet wird. Mein Anliegen war, das Ausgeschlossene mehr in den Mittelpunkt zu
rücken. Was empfinde ich oft als ausgeschlossen? Die Tatsache, dass Teilnehmer
manchmal (nicht immer!) durchaus in der Lage sind, allein mit Hilfe der
Stellvertreter ihre Aufstellung vollständig selbst zu leiten. Der sogenannte
"blinde Fleck" eines Menschen ist nicht immer hinderlich, aus eigener Kraft auf
neue Lösungen zu stoßen. Manchmal genügt mir in meiner eigenen Aufstellung die
Rückmeldung eines Stellvertreters und mir wird etwas lösend klar. Dazu brauche
ich keinen Aufstellungsleiter.
Doch diese Erfahrung bedeutet nicht, dass Aufstellungsleiter generell keine
Rolle spielen. Und natürlich "dürfen" aus meiner Sicht Aufstellungen etwas
kosten. Ich wollte nicht beweisen, dass es
generell überflüssig ist, für
Aufstellungen Geld zu verlangen. Ich wollte auch nicht beweisen, dass Honorare
generell einschränkend auf die persönliche Entwicklung von
Aufstellungsleitern oder Teilnehmern wirken. Sie haben es selbst auf meiner
homepage (
www.in-resonanz.net) entdeckt: Ich nehme
für meine kleine Ausbildung zum Moderator für Freie Systemische Aufstellungen
eine angemessene Teilnehmergebühr. Auch für meinen Musikunterricht und meine
musikalischen Tätigkeiten nehme ich ein angemessenes Honorar. Ich halte es für
sinnvoll, dass ausgebildete Therapeuten und Aufstellungsleiter für ihre Arbeit
und für ihren Einsatz mit den Aufstellungen einen notwendigen Ausgleich
verlangen. Wieso sollte ich also etwas gegen Geld haben? Schade, dass sie den
von Ihnen entdeckten Widerspruch als den meinigen gedeutet und nicht Ihre eigene
Sichtweise hinterfragt haben, ob ich tatsächlich Geld als "schlecht"
einstufe.
Habe ich behauptet, dass das Entgegennehmen von Geld
Bewusstseinserweiterungen einschränken würde? Wenn ich so etwas behauptet hätte,
würde ich mich ja selbst in meinem Wunsch nach Entfaltung gleichzeitig
bekämpfen, wenn ich nur einen einzigen Geldschein entgegennähme. Dies klingt
recht unrealistisch. Ich wollte mit meinem Artikel den Blick auf einen ganz
speziellen Fall lenken: Das Entgegennehmen von viel Geld ("hohen" Gebühren - ich
bleibe bewusst in dieser Formulierung unklar, denn "hoch" ist eine subjektive
Einschätzung aus dem jeweiligen Gewissen und sollte in dem Zusammenhang auch so
bleiben) beim Begleiten einer völlig selbstständig und frei ablaufenden
Aufstellung könnte im Aufsteller selbst zu einem Konflikt führen, und der
lautet: "Wofür werde ich hier eigentlich bezahlt, wenn der aufstellende
Teilnehmer und seine Stellvertreter alles selbst machen und ich in diesem
Prozess völlig überflüssig bin?" Und dieser Konflikt will erst einmal bewältigt
werden. Wer ein langes Aufstellungswochenende organisiert, in dem die Teilnehmer
ihre Aufstellungen selbst leiten und die Aufstellungen alle selbstständig
ablaufen, er selbst als Moderator lediglich organisiert, wer wie lange
aufstellen darf und wann Pause gemacht wird, aber ansonsten kaum mehr Impulse in
die Aufstellungen gibt wie alle anderen Teilnehmer auch, dafür aber von jedem
Teilnehmer eine Gebühr von z.B. 180,- Euro erhält und dabei ganz ehrlich absolut
keinen inneren Konflikt erlebt, von dem möchte ich lernen. Ich möchte von ihm
wissen, wo er speziell in dieser Situation das Gleichgewicht zwischen
Geben und Nehmen sieht.
Die Spenden, die ich an meinen kostenlosen Aufstellungswochenenden zu Hause
in unserem Wohnzimmer (keine Raummiete) erhalte, decken meine Unkosten. Mehr
nicht. Und der Ausgleich von Geben und Nehmen spielt sich während des gesamten
Wochenendes zwischen allen Teilnehmern ab - inklusive mir (ich stelle auch ab
und zu mal auf). Für mich ist es das perfekte Gleichgewicht - wohlgemerkt im
Blick auf das wirklich "freie" Aufstellen! Wenn ich allerdings lehre und meine
Erfahrungen ständig gefragt sind, wünsche und erwarte ich natürlich ebenso wie
andere einen entsprechenden Ausgleich für meinen Einsatz.
Ich bestätige Sie: In manchen Fällen sind geführte Aufstellungen sinnvoll,
in anderen Fällen das freie Aufstellen. Die Teilnehmer wählen selbst, ob sie
eine freie Aufstellung möchten - und kommen zum kostenlosen freien Aufstellen,
oder sie wählen das geführte Aufstellen und kommen zum gebührenpflichtigen und
betreuten Aufstellen. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich behaupte nur,
und meine Behauptung kann jeder überprüfen, es ist keine Wahrheit: Das freie
Aufstellen verläuft meines Erachtens nur wirklich frei, wenn nicht einmal per
Honorarzahlung ein Leiter existiert.
Dazu kann ich eine Erfahrung aus meinem Musikstudium berichten: Mein
Dirigierlehrer erwartete oft im Unterricht von mir, dass ich als Dirigent ihm
gegenüber selbstsicher, eigenständig und klar auftreten sollte. Ein Dirigent
müsse selbstbewusst führen. Erkennen Sie hier das Paradox? Ein Mensch führt mich
und verlangt gleichzeitig, ich solle führen. Wie geht das? Erst als ich vor
meinem eigenen Chor stand und mein Dirigierlehrer nicht anwesend war, konnte ich
sofort vollständig die Rolle des führenden Dirigenten übernehmen. Ich war
selbstsicher und klar und konnte mich in dieser Rolle frei entfalten. Dazu
nutzte ich alle meine Erfahrungen mit meinem Lehrer. Mein Lehrer selbst hat mich
jedoch nie von dieser Seite erlebt.
Ein weiteres Phänomen in Aufstellungen ist an dieser Stelle wichtig: Wenn
ein Stellvertreter ein Gefühl hat, z.B. eine Angst, und man sucht für dieses
Gefühl einen weiteren Stellvertreter aus und stellt ihn als "Angst" in die
Aufstellung, dann verschwindet meistens das Angstgefühl im ersten
Stellvertreter. Es wurde personifiziert. Franz Ruppert bedient sich in seinen
Aufstellungen sehr oft dieses Phänomens und stellt ein Gefühl nach dem anderen
ins Bild, um die aufstellende Person so lange zu entlasten, bis sich eine
endgültige Lösung ergibt. Manchmal stehen so am Ende über 20
Gefühls-Stellvertreter in der Aufstellung - und der aufstellenden Person geht es
endlich gut.
Oder schauen Sie auf die Kinder-Dynamik, die wir Erwachsene auch oft in uns
tragen: Erst wenn die Eltern nicht mehr hinschauen, haben die Kinder den Impuls,
etwas von den Eltern Gewünschtes zu erledigen. Solange die Eltern schauen und in
gewisser Weise "kontrollieren", tun sie es nicht (um nicht ihr Gesicht zu
verlieren) oder nur mit wenig Energie.
Ergo hat jemand meistens erst dann die volle Energie, seine eigene
Aufstellung selbst vollständig zu leiten, wenn es keine andere Person mehr gibt,
die in gewisser Weise die Leitungsfunktion vertritt. Dann ist die Option zum
Selbstleiten und zur Selbstentfaltung außerhalb jeglicher Anleitung oder
Begleitung vollständig vorhanden. Für diese Option darf meiner Erfahrung nach
vorher keine Person eine Gebühr für Ihren Einsatz verlangt haben, denn sonst
"rutscht" sie dadurch automatisch und konstant in die Rolle des "Leiters" (so
wie mein Dirigierlehrer konstant in der Rolle des Lehrers war). Als
achtungsvoller Schüler würde ich mich nie über meinen Lehrer erheben, als
achtungsvolles Kind würde ich mich nie über meine Eltern erheben,
als achtungsvoller Teilnehmer würde ich mich nie wagen, mich leitend in der
Rangfolge über den Aufstellungsleiter zu stellen, den ich vorher bezahlt habe.
Ich betone noch einmal: Diese Ausführungen beziehen sich nur auf die Möglichkeit
des vollständig freien (= eigenbestimmten) Aufstellens. Beim geführten
Aufstellen ist ein anderer Rahmen, sind andere Regeln, Rangfolgen,
Qualitäten und Möglichkeiten vorhanden, denen ich genauso zustimme und sie für
wichtig und gut halte. Dort ist Hilfe, Unterstützung, Verantwortungsübernahme,
Fürsorge, Know-how gefragt. Innerhalb dieses Unterstützungsrahmens kann sich
viel lösen, können Schritte gegangen werden. Doch der Schritt zur vollständigen
Selbstständigkeit gelingt meines Erachtens nur dadurch, dass man sich auch
tatsächlich in die Selbstständigkeit bewegt und die bisher hilfreichen Krücken
ablegt. Sind diese Krücken jedoch mit wertvollen Diamanten besetzt und hat man
einen hohen Preis dafür bezahlt, dann behält man sie oft noch ein bisschen
länger, auch wenn man sie eigentlich gar nicht mehr braucht.
Verantwortung und Fürsorge gegenüber anderen Menschen sind in vielen Fällen
wichtige, nötige und hilfreiche Ressourcen. Das nutze ich auch selbst beim
Begleiten von Aufstellungen sowie beim Unterrichten von Musikschülern. Wenn aber
eine Aufstellung die Tendenz hat, sich selbstständig entwickeln zu können, ein
Aufstellungsleiter jedoch meint, hier immer noch eine gewisse Verantwortung oder
Fürsorge für den Aufstellungsablauf oder den Teilnehmer zu tragen und seine
eigene "Überflüssigkeit" in diesem Fall nicht integrieren kann, dann wirkt dies
auf die Aufstellung und ihre freie "Selbstentfaltung" unter Umständen
hinderlich.
Warum dauert meine Ausbildung zum Moderator für Freie Systemische
Aufstellungen insgesamt nur 30 Stunden? Weil es im Wesentlichen darum geht, das
Vertrauen zu erlangen, nichts tun zu müssen und keine Verantwortung für andere
zu tragen (natürlich nur die Verantwortung für das eigene Handeln,
selbstverständlich!). Alles übrige, was ich in der Ausbildung anbiete, sind
meine persönlichen Erfahrungen, wie man Aufstellungen noch unterstützen könnte,
wenn man es möchte, doch das gehört nicht zur generellen Tätigkeit des
"freien" Moderators. Wenn ich mein erlerntes Wissen als Moderator doch mal mit
einbringe, ist das meine ganz persönliche Entscheidung und verlangt keinen
Ausgleich. So geht es jedem Teilnehmer. Jeder bringt sich selbst ein, steht als
Stellvertreter zur Verfügung und erhält als Ausgleich die Erfahrung der
Teilnahme - wohlgemerkt nur beim freien Aufstellen.
Zum Thema "Verantwortung" kann ich am Ende eigentlich nur eines ergänzen:
Das Hauptproblem der Missverständnisse in diesem Bereich liegt darin, wie jeder
Einzelne den Begriff "Verantwortung" definiert. Was ist eigentlich Verantwortung
ganz genau? Und was meinen wir damit? Ich habe meine Definition in dem Buch "Das
freie Aufstellen - Gruppendynamik als Spiegel der Seele" dargelegt (S. 156 ff)
und auch als Buchauszug auf meiner homepage veröffentlicht.
Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, mich und meine Erfahrungen noch einmal
nachträglich genauer zu erklären. Ihnen und Ihrer Leserschaft wünsche ich
weiterhin viele wichtige und anregende Erfahrungen mit dem Aufstellen und dem
Austausch darüber.
Mit herzlichen Grüßen
Olaf Jacobsen
Frei ist nicht gleich frei
Was meint eigentlich "das Freie Aufstellen"?
Über
den Unterschied zwischen Bewegungen der Seele, autopoietischem
Aufstellungsverlauf und freier Aufstellungsarbeit
Autor: Olaf Jacobsen
In vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Personen, die sich mit
Aufstellungen beschäftigen, habe ich erfahren, dass der Begriff "frei
aufstellen" sehr variabel und mit verschiedenen Hintergründen benutzt wird.
Gleichzeitig erlebe ich, wie die von Bert Hellinger gefundenen "Bewegungen der
Seele", die von Siegfried Essen beschriebene "autopoietische Aufstellungarbeit"
und das von mir begründete "Freie Aufstellen" in einen Topf geworfen werden. Im
Folgenden zeige ich Unterschiede dieser drei Formen auf. Dabei stütze ich mich
auf das Video "Bewegungen der Seele" mit Bert Hellinger und Johannes Neuhauser
aus dem Jahr 2001, meinen direkten Beobachtungen seiner Arbeit während der
Arbeitstagungen, dem Artikel "Autopoietische Aufstellungsarbeit" von Siegfried
Essen in "Praxis der Systemaufstellung" Heft 2/2003 (Zitate daraus s.u.) und
seinem Vortrag auf dem 5. Internationalen Kongress für Systemische Aufstellungen
2005 in Köln. Über "Freie Systemische Aufstellungen" kann ausführlich
nachgelesen werden in meinem Buch "Das Freie Aufstellen -
Gruppendynamik als
Spiegel der Seele" (Karlsruhe, 2003). Mir ist es wichtig darauf
hinzuweisen, dass ich die Formen von Hellinger und Essen nicht ausführlichst
studiert habe. Daher ist meine Darstellung auf jeden Fall unvollständig. Sie
beschränkt sich auf die wesentlichen Unterschiede, die ich den oben genannten
Quellen entnehmen kann (ich schließe nicht aus, dass die Formen sich inzwischen
verändert haben). Je klarer man selbst unterscheiden kann, desto gezielter kann
man auch die Vorzüge jeder einzelnen Richtung nutzen.
Die Rolle des Aufstellungsleiters
- bei den Bewegungen der Seele (BwdS): Bert Hellinger führt ein
Gespräch mit der aufstellenden Person über das aufzustellende Thema. Er
entscheidet, welche Elemente für die Aufstellung ausgewählt werden. Er gibt den
Stellvertretern im Gegensatz zum traditionellen Familienstellen den
Freiraum, sich gesammelt zu bewegen und ihren inneren Impulsen einfach
zu folgen. Wenn er selbst einen Impuls hat, ergänzt er die Aufstellung durch
Interventionen. Er bestimmt mit seinen Erfahrungen und Sichtweisen den Rahmen
der Aufstellung und hat in diesem Punkt Vorrang vor der aufstellenden Person.
- in der Autopoietischen Aufstellung (ApA): Siegfried Essen
vermittelt den Teilnehmern, in welchem Rahmen eine ApA abläuft. Er ermuntert die
Repräsentanten der Aufstellung, frei zu sein, etwas auszuprobieren. Er
erinnert sie im Laufe der Aufstellung daran, wie frei sie wirklich sind
und was für Verhaltensmöglichkeiten die Repräsentanten noch ausprobieren können,
wenn sie in scheinbaren Verhaltensgrenzen verharren. In seinem Artikel sieht er
sich selbst als Leiter, der großes Vertrauen in die Ganzheit des Systems
hat. "Eine solche Haltung zeigt sich durch eine Haltung von Geduld und
Zurückhaltung des Leiters sowie durch paradoxe Anweisungen, die die
Freiheit und Selbstmächtigkeit der Repräsentanten herausfordern." Auch
hier bestimmt der Aufstellungsleiter den Rahmen und hat damit Vorrang vor der
aufstellenden Person.
- beim Freien Aufstellen (FrA): Die aufstellende Person, die an
ihrem Thema arbeitet, ist der Aufstellungsleiter und befindet
sich somit selbst in der Rangfolge auf Platz 1. Sie ist frei, die Form
und den Ablauf ihrer eigenen Aufstellung selbst zu bestimmen. Sie ist
frei, den Repräsentanten Grenzen zu setzen oder sich frei bewegen zu
lassen. Sie geht mit ihrer eigenen Aufstellung ganz selbstständig um. Sie ist
frei in der Entscheidung, ob sie die Repräsentanten und die
beobachtende Gruppe als Berater nutzt. Sie ist auch frei zu
entscheiden, ob jemand aus der Gruppe zeitweise oder vollständig die Leitung der
Aufstellung übernimmt.
Hintergrund: In Organisationen spiegeln sich in den meisten Fällen die
(Un)Gleichgewichte der Chef-Ebene, Kinder - solange sie zu Hause den Eltern zur
Verfügung stehen - spiegeln in ihrer Verhaltensdynamik die (Un)Gleichgewichte
ihrer Eltern, etc. Diese Erfahrungen im Alltag werden für das Freie Aufstellen
genutzt: In dem Verhalten der Stellvertreter spiegeln sich die
(Un)Gleichgewichte der Leitungs-Ebene. Also befindet sich der Teilnehmer selbst
auf der entscheidenden und bestimmenden Position.
Die aufstellende Person
BwdS: Sie bringt ihr Thema mit und vertraut sich dem
Aufstellungsleiter an. Sie ordnet sich den Impulsen und Entscheidungen des
Aufstellungsleiters unter.
ApA: Sie bringt ihr Thema mit und vertraut sich dem
Aufstellungsleiter an. Sie ordnet sich der autopoietischen Aufstellung
unter.
FrA: Sie bringt ihr Thema mit und nutzt die Gruppe, um es
selbstständig frei aufzustellen. Sie hat Vorrang vor allen und ordnet
sich nur dem zeitlichen Rahmen der Aufstellungsveranstaltung und den
persönlichen Grenzen der übrigen Teilnehmer unter (z.B. körperliche Aggressionen
gegenüber einem anderen Repräsentanten sollten in Rollen nicht ausgelebt werden
oder Repräsentanten wollen die Rolle nicht weiter spiegeln und sich aus der
Aufstellung zurückziehen). Sie kann frei entscheiden, ob sie die Vorschläge,
Ideen, Empfehlungen aus der Gruppe für den Aufstellungsverlauf oder für Lösungen
nutzt oder nicht.
Die Repräsentanten einer Aufstellung
In allen drei Aufstellungsformen ordnen sich die Repräsentanten der Leitung
unter und stehen zur Verfügung. Dabei ist ihre Aufgabe, sich einzufühlen, die
wahrgenommenen Gefühle mitzuteilen und den inneren Bewegungsimpulsen zu folgen.
Kleine Unterschiede:
BwdS: Die Repräsentanten sind aufgefordert, ihren Gefühlen möglichst
gesammelt und langsam zu folgen. Dabei sollte wenig selbstständig gesprochen
werden. Sie nehmen Rücksicht auf die Impulse des Aufstellungsleiters.
Hier gleichen sich ApA und FrA: Sie sind aufgefordert, möglichst
frei allen kreativen Impulsen zu folgen, auszuprobieren, zu reden, ihre
Erfahrungen zu machen ... Sie lassen sich bei unbewussten Hemmungen durch die
einladenden Impulse des Aufstellungsleiters oder der aufstellenden leitenden
Person befreien, und werden gleichzeitig gebeten, eventuell vorhandene
Widerstände zum entsprechenden Leiter mitzuteilen. Sie nehmen auf alle Wünsche,
Impulse und Grenzziehungen der leitenden/aufstellenden Person Rücksicht
("Rücksicht nehmen" heißt nicht, dass sie die Wünsche erfüllen müssen,
sondern: sie berücksichtigen und ihnen einen Vorrang einräumen). Sie sollten
jederzeit eigenverantwortlich für sich selbst schauen, ob es sich noch stimmig
anfühlt, weiter an der Aufstellung teilzunehmen und zur Verfügung zu stehen oder
sich daraus zurückzuziehen (ein Rückzug von Repräsentanten - z.B. aus Protest
oder Unlust - oder ein Gehen von Teilnehmern aus dem Raum kann für die momentan
aufstellende Person ein wichtiger Spiegel sein, aus dem sich neue Erkenntnisse
für einen lösenden Entwicklungsprozess gewinnen lassen). Bei der ApA werden
die Repräsentanten in ihren autonomen Aktionen seltener unterbrochen. Beim FrA
werden sie von der aufstellenden Person ab und zu stärker und ausführlicher
"genutzt" und mehr mit ihnen experimentiert, immer auf dem Hintergrund, dass sie
jederzeit wieder frei ihren Impulsen folgen dürfen.
Die beobachtenden Gruppe
Hiermit sind all diejenigen Teilnehmer gemeint, die weder die Aufstellung
initiiert haben noch als Repräsentanten mitwirken.
BwdS: Die Gruppe beobachtet schweigend, achtsam und mitfühlend. Sehr
selten werden Impulse und Gefühle aus der Gruppe aufgegriffen und integriert,
z.B. indem die momentan auftauchende Unruhe der Zuschauer reflektiert und darauf
reagiert wird. Die Gruppe wird manchmal gebeten, aufmerksam die Energie zu
halten und nicht abzulenken.
ApA: Teilnehmer aus der Gruppe können ihre Gefühle mitteilen und
werden oft in die Aufstellung integriert, indem sie durch ihre Äußerungen zum
Repräsentanten werden.
FrA: Grundsätzlich heißt es: "Alles gehört dazu." Auch die
Gruppenmitglieder dürfen sich genau wie die Repräsentanten von Anfang an frei
verhalten. Sie dürfen allen Impulsen folgen, auch denen, die scheinbar nicht zur
Aufstellung gehören (reden, auf die Toilette gehen, Handy klingeln lassen, laut
telefonieren, ständig Plätze wechseln, essen, ...). Und sie dürfen alle ihre
Erfahrungen, Ideen, Intuitionen, Interventionen zur Aufstellung mitteilen oder
darüber diskutieren. "Dürfen" heißt nicht immer, dass sie es auch tun. Es
besteht aber jederzeit die Möglichkeit dazu. So bleibt gewährleistet,
dass die aufstellende Person sich von der gesamten Gruppe spiegeln und beraten
lassen kann (wenn sie es möchte) und kein in der Gruppe vorhandener Impuls
übersehen oder verschwiegen wird. Alle Teilnehmer arbeiten offen zusammen.
Sollte ein Chaos ausbrechen, was trotz dieser offenen Möglichkeit meiner
Erfahrung nach selten geschieht, kann es ebenso als Spiegel für die momentane
Ausstrahlung der aufstellenden Person genutzt werden.
Oft wird auch die Erfahrung gemacht, dass sich in dem Reichtum aller
Impulse (= scheinbares Chaos) die entscheidenden Muster im Laufe der Zeit durch
Wiederholungen oder Dringlichkeiten herauskristallisieren - und dann auch direkt
reflektiert und erlöst werden können. Auch für die Gruppe gilt, auf
alle Wünsche, Impulse und Grenzziehungen der aufstellenden leitenden
Person Rücksicht zu nehmen. Sie sind - wie die Repräsentanten - der leitenden
aufstellenden Person untergeordnet. Die aufstellende Person kann z.B. jederzeit
einem scheinbaren Chaos in der Gruppe eine Grenze setzen und mitteilen, worauf
sie sich gerade konzentrieren möchte, alle anderen Impulse sollen bitte momentan
unterdrückt werden. Und deshalb ist es auch für die Gruppenmitglieder wichtig,
für sich selbst zu sorgen und sich im schlimmsten Fall aus der Veranstaltung
eigenverantwortlich zurückzuziehen, wenn man sich in dem momentanen Rahmen der
aufstellenden Person nicht wohl fühlt.
Mögliche Folgen der jeweiligen Aufstellungsform:
BwdS: In der Aufstellung kommen durch die Sammlung der
Repräsentanten tiefe Gefühle zum Vorschein. Das Thema kann fast zuverlässig in
einem geborgenen und verantwortungsvollen Rahmen "tief und wirkungsvoll"
bearbeitet werden. Alle Beteiligten und Beobachter können dies spüren und sind
intensiv berührt.
ApA: In der Aufstellung kommen durch die Freiheit der Repräsentanten
viele kreative Impulse zum Vorschein. Das "Ganze" eines Systems rückt mehr in
den Mittelpunkt. Die Autopoiese lebender Systeme wird deutlicher und hilft, den
Alltag inklusive des in der Aufstellung gefundenen neuen Gleichgewichtes klarer
zu integrieren. Ebenso wird die neue Erfahrung der Handlungsfreiheit in
Stellvertreterrollen als essenziell erfahren. In dieser Freiheit "entfaltet sich
allmählich die Dynamik der Selbstschöpfung des Einzelnen in der Auseinander- und
Zusammensetzung mit den anderen Teilen des Systems und mit dem Ganzen." Dies
kann intensiv und lösend berühren und zu wirkungsvollen Erkenntnissen und
Lösungen führen.
FrA: Für die aufstellende Person ist theoretisch alles möglich. Der
Rahmen für die Aufstellungsform hängt immer von den momentanen Wünschen der
aufstellenden Person, von ihren inneren Haltungen, ihren Zielen, ihren Grenzen,
ihrem Wissen über und ihren Erfahrungen mit Aufstellungen und ihrem momentanen
Zustand ab. Das Spektrum an Aufstellungsformen ist aufgrund der freien
Entscheidung der aufstellenden Person unendlich und reicht von oberflächlicher
unangenehmer und scheinbar nicht lösender kurzer Aufstellung ... über
Aufstellungen, in denen weniger gefühlt als viel mehr diskutiert wird ... über
witzige lustige Theaterstückchen mit niedlichem Happy End ... über schmerzhafte
Auseinandersetzungen in der Gruppe ... bis hin zur tiefen emotionalen Lösung
durch eine intensive Versöhnung, wie wir sie aus dem Familienstellen kennen.
Auch kann von der aufstellenden Person immer gewählt werden, ob die Aufstellung
in einer Form der traditionell geführten Familien-, Organisations- oder
Strukturaufstellung, Bewegungen der Seele, autopoietisch oder selbstgeführt
ablaufen soll. Die Freie Aufstellung bietet daher einen allumfassenden Spiegel,
der sehr unterschiedlich und ganz frei genutzt werden kann. Und auch die Wirkung
ist äußerst variabel und reicht von "absolut keine Wirkung" bis hin
zur "tiefen seelischen und dauerhaft lösenden Veränderung". Meine Beobachtung:
Es passiert immer genau das, was gerade "dran" ist. Es gibt nichts Falsches oder
Störendes; alles gehört dazu und kann als Spiegel genutzt werden.
Resümee
Der entscheidende Unterschied des von mir begründeten Freien Aufstellens zu
allen anderen freien Formen ist also: Beim Freien Aufstellen bezieht sich der
Begriff der Freiheit nicht auf das freie Verhalten der Repräsentanten, sondern
es geht um die freie Wahl der aufstellenden Person. Da man hier absolut
jede Aufstellungsform wählen kann, integriert das Freie Aufstellen
automatisch alle anderen Aufstellungsformen. Natürlich bleibt der Rahmen des
Freien Aufstellens gleichzeitig abhängig von demjenigen, der es organisiert und
von der Zusammensetzung der Gruppe, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen bezüglich
der allgemeinen Aufstellungsarbeit. Ich behaupte nicht, dass die Personen, die
Freies Aufstellen anbieten, alle Erfahrungen, alles Wissen besitzen und alles
integrieren können. Es ist allein die freie Form, die alle anderen Formen
integriert, da hier alles gewählt werden kann. Aus diesem Grund bietet diese
freie Form für angehende Aufstellungsleiter auch ein optimales Lernfeld. Man
kann das Freie Aufstellen selbstständig organisieren und moderieren, ohne
Professionalität und Qualität bieten zu "müssen" - ideal für diejenigen, die
sich als zukünftige professionelle Aufstellungsleiter durch praktische
Erfahrungen mit Aufstellungen selbst weiterbilden und so allmählich ins Feld
hineinwachsen möchten.
Die allumfassende (Wahl-)Freiheit
Am eindrucksvollsten habe ich dies in einem Seminar erlebt, das ich
zusammen mit Bettina Winter (Hamburg) Anfang 2005 gegeben habe. Ich war
eingeladen, das Freie Aufstellen ihren Teilnehmern, die eher ihr geführtes
Aufstellen kannten, vorzustellen. Ein Wochenende lang berichtete ich über die
mir bewussten Sichtweisen und Möglichkeiten des Freien Stellens und "führte" die
Teilnehmer praktisch ein. Am letzten Tag durften die aufstellenden Teilnehmer
wählen, ob sie von Bettina - wie gewohnt - geführt werden, ob sie nur von mir
beraten werden, ob Bettina und ich zusammen die Aufstellung begleiten sollten
oder ob sie ihre Aufstellung vollkommen allein ohne helfende Impulse von außen
untersuchen und selbst leiten wollten. Während dieses Tages wurde von den
Teilnehmern jede Möglichkeit mindestens einmal gewählt. Und wir erlebten die
faszinierende Vielfalt. Weil sich hier zwei Welten (Bettinas und meine) mit
unterschiedlichen Erfahrungen und Angeboten trafen und die Teilnehmer jederzeit
die Wahl hatten, wie sie diese beiden Welten nutzen wollten, entstand allein
durch die Entscheidungen der Teilnehmer eine neue Welt. Wir alle waren darin
staunende Gäste.
Weil die Teilnehmer zwischen Bettina als Leiterin und mir als Moderator des
Freien Stellens wählen konnten, hatten sie damit auch die Wahl zwischen dem
geführten und dem Freien Aufstellen? Nein, sie stellten alle die ganze
Zeit frei auf, denn sie hatten jederzeit die freie Wahl, in
welcher Form, in welchem Rahmen, mit welcher Begleitung sich ihre Aufstellung
bewegen sollte. Bettina und ich richteten uns nach der freien Entscheidung eines
jeden Teilnehmers, standen jeder Wahl zur Verfügung, waren (trotz unserer
Erfahrungen als Therapeutin/Moderator) immer "zweitrangig" und stellten uns
damit vollständig der Ganzheit der aufstellenden Person in den Dienst. Die
aufstellende Person blieb erstrangig und bestimmend. Das ist der Kern des
sogenannten "Freien Aufstellens".
Test
Wenn ich eine von jemand Anderem organisierte Aufstellungsveranstaltung
besuche und die Frage stelle: "Darf hier die aufstellende Person jederzeit
spontane Wünsche äußern und um Durchführung bitten, neugierig Experimente mit
den Repräsentanten einleiten oder sich schützend den Repräsentanten und der
gesamten Gruppe Grenzen setzen, - ohne einen Widerspruch zu ernten, ohne über
eine negative Wirkung belehrt zu werden und ohne die spiegelnde Unterstützung
der Gruppe zu verlieren?" und die Antwort lautet darauf: "Es hat keinen Raum
oder könnte Komplikationen auslösen oder ist aus anderen Gründen nicht zu
empfehlen", dann entspricht nach meiner Definition die angebotene
Aufstellungsform nicht wirklich der Freien Aufstellung. Nur wer den Raum hat,
jederzeit und ohne Abwertungen Anderer seine eigene Aufstellung so zu nutzen,
wie er selbst es gerade möchte, ist in diesem hier dargestellten Sinne
"frei".
Veröffentlicht in "Matrix3000" Heft Jan/Feb 2008
Verstrickte Gefühle
Autor
Olaf Jacobsen
Wie
kann ein einziger kleiner Satz dazu führen, dass Gefühle sich grundlegend
ändern, unangenehme Körpersymptome sich beenden und eingefahrene Überzeugungen sich
schlagartig wandeln? Das Buch „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“ ist
innerhalb kürzester Zeit zum Bestseller geworden. Warum fühlen sich so viele
Menschen durch diesen Titel angesprochen?
Alles ist eins
Immer
öfter liest und hört man, dass die Welt „eins“ ist. Durch eine „Matrix“ sei
alles miteinander vernetzt, untrennbar, eine Einheit. „Fehler in der Matrix“ (das
Buch von Grazyna Fosar und Franz Bludorf) zeigt dazu faszinierende
Zusammenhänge und liefert Indizien für die Allverbundenheit unseres Universums.
Die wissenschaftlichen Interpretationen von Quantenphänomenen deuten darauf
hin, dass alle scheinbar voneinander getrennten Elemente und Wesen über ein
Informationsfeld in Verbindung stehen. Doch das ist eine Sichtweise, deren
Folgen sich zwar immer wieder erleben lassen, die sich aber nie vollständig
beweisen lässt. Wenn wirklich alles innerhalb unseres Universums wie in einer
Matrix miteinander verbunden ist, dann gibt es nichts, was sich außerhalb
dieser Matrix befindet und sie von außen wahrnehmen kann. Alles ist ein Teil
von ihr. Deshalb existiert ein blinder Fleck, eine Unvollständigkeit. Buddha
sagte: „Man kann den Geist nicht mit dem Geist erforschen“. Und so kann die
Matrix auch nicht mit Mitteln dargestellt werden, die Teil der Matrix sind.
Selbst der Film „Matrix“ zeigt wunderbar, dass der Held „Neo“ die
entscheidenden Erkenntnisse über die Matrix nur erhalten konnte, nachdem er die
rote Pille schluckte und auf diese Weise aus der computergenerierten Scheinwelt
aufwachte. Im von ihr getrennten Zustand wurde er mit der „Realität“ konfrontiert.
Außerhalb der Matrix konnte er sie vollständig realisieren. Ist man mit der
Matrix verbunden, mit ihr im „Gleichgewicht“, so kann man sie nicht direkt wahrnehmen.
Im absoluten Gleichgewicht verschwindet die Wahrnehmung und damit auch die
Beweisbarkeit.
Beim Familienstellen ist die Verbundenheit
erlebbar
Es
bleibt einem nichts anderes übrig, als sich mit dem zufrieden zu geben, was man
am eigenen Leib oder mit Hilfe von phänomenologischen Experimenten als Folge
der Allverbundenheit erfahren kann. Wer sich mit Spiritualität oder
Grenzwissenschaften wenig beschäftigt und dem Familienstellen begegnet, ist
entweder hoch überrascht von dem, was er dort erlebt, oder er wertet es als ein
„abgesprochenes Theaterspiel“ ab und distanziert sich misstrauisch. Mir ist zur
Zeit jedoch keine andere Selbsterfahrungs-Methode bewusst, in der die
Verbundenheit zwischen Menschen so klar empirisch zum Vorschein kommt.
Viele
stehen an dem Punkt, an dem sie sich fragen, welche Konsequenzen die Vernetzung
in der Matrix eigentlich in unserem Alltag hat und wie man das Wissen über sie
gezielt einsetzen kann. Um darauf Antworten zu erhalten, könnte man genauer
beobachten: Was passiert um uns herum? Und wie kann man unseren Alltag mit dem
Weltbild der allumfassenden Vernetzung neu verstehen? Wohin führt das neue
Verständnis?
Lassen
Sie uns das Familienstellen genauer beobachten. Was passiert dort?
Das Phänomen
Besonders
in den „Freien Systemischen Aufstellungen“, die ich 2002 ins Leben gerufen
habe, sind die Phänomene überdeutlich: Ein Teilnehmer einer
Aufstellungsveranstaltung (beim „freien“ Stellen darf jeder mit seiner eigenen
Aufstellung frei umgehen und experimentieren) sucht sich aus der Gruppe
einzelne Personen aus, die in einem spontanen Rollenspiel entweder Familienmitglieder,
Arbeitskollegen oder Partner darstellen sollen. Auch abstrakte Elemente, wie
z.B. das neue Auto, die eigene Wohnung, der Arbeitsplatz oder Gefühle wie
bestimmte Phobien, Wut, Unruhe, Schlaflosigkeit können mit Hilfe von
Stellvertretern personifiziert werden. Die ausgewählten Gruppenmitglieder
stellen sich als Stellvertreter zur Verfügung, fühlen sich in die ihnen zugeteilte
Rolle ein, und folgen während der gesamten Aufstellung den Gefühlen und
Handlungsimpulsen, die in ihnen entstehen. So entwickelt sich ein über
Intuitionen gesteuertes Rollenspiel. Das Unglaubliche daran ist: Der
aufstellende Teilnehmer teilt den Gruppenmitgliedern nicht mit, wen oder was
sie überhaupt vertreten. Er stellt es sich lediglich in Gedanken vor. Kein
anderer ist in die Problematik eingeweiht. Keiner aus der Gruppe weiß, was hier
von den Stellvertretern dargestellt wird – und auch die Stellvertreter haben
keine Ahnung. Sie folgen einfach ihrem Gefühl. Überdurchschnittlich häufig wird
vom aufstellenden Teilnehmer mitgeteilt, dass das Verhalten der Stellvertreter
ziemlich genau der Problematik entspricht, die er in diesem Zusammenhang
aufgestellt hat. Die Stellvertreter verhalten sich oft den Personen oder
Elementen entsprechend, die sie vertreten – ohne auf der bewussten Ebene
irgendwelche Informationen erhalten zu haben.
Resonanzen überall
Dieses
Phänomen tritt so zuverlässig auf, dass ich mir überlegt habe, ob es auch in
unserem Alltag wiederzuentdecken ist. Je öfter ich mir diese Frage stellte,
desto bewusster wurde mir ein Zusammenhang: Immer, wenn wir Menschen uns zur
Verfügung stellen, gehen wir mit unserem Umfeld besonders intensiv in Resonanz.
Dadurch entstehen in uns entsprechend „wahrnehmende Gefühle“. Analysieren wir
diese Gefühle genauer und vergleichen sie mit unserem Umfeld, so können wir
erkennen: Unsere Gefühle weisen eine erstaunlich klare Übereinstimmung mit den
energetischen oder psychischen Strukturen unseres Umfeldes, unserer Mitmenschen
oder unseres momentanen Gesprächspartners auf. Sie enthalten Informationen über
die Person oder die Situation, der wir uns zur Verfügung gestellt haben. Wenn
wir uns dann selbst sagen „Ich stehe dafür nicht mehr zur Verfügung“,
verschwinden diese Gefühle wieder. Wie kann man das erklären?
Veränderungswünsche binden uns an die
Problemstruktur
In
Aufstellungen stellt jemand ein Problem auf, das er gerne lösen möchte. Es existiert
in seinem Leben ein unangenehmer Zustand, den er verändern will. Die Basis
seiner Handlung ist hier also ein Wunsch nach einer Veränderung. Wenn wir Veränderungswünsche
genauer betrachten, erkennen wir: Eine erfolgreiche Veränderung kann genau dann
durchgeführt werden, wenn das Problem genügend kennengelernt wurde. Habe ich
ein Problem mit meiner Heizung, so sucht der Fachmann zunächst nach der Ursache
des Problems, bevor er mit der Reparatur beginnt. Ein Arzt erstellt als erstes
eine Diagnose, bevor er heilende Maßnahmen durchführt oder verschreibt. Spiele
ich am Klavier etwas falsch, so muss ich genauer hinschauen, was mein Fehler
war. Ist das Problem erkannt, kann es auch gebannt werden. Jeder Problemlösung
geht ein genaues Kennenlernen des Problems voraus. Und wir können etwas am
besten kennenlernen, wenn wir mit unseren Sinnesorganen zu dem Problem eine
intensive Resonanz herstellen - mit unseren Augen, Ohren, unserem Tastsinn oder
eben auch mit unserem Gefühl. Das ist ein allgemeingültiges Prinzip der Natur. Damit
komme ich zurück zum Aufstellen: Wenn ein Teilnehmer einer Seminargruppe ein
Problem aufstellen und verändern möchte, stellen sich Menschen als
Stellvertreter für diesen Veränderungswunsch zur Verfügung und gehen automatisch
(Prinzip der Natur) zu dem Problem eine intensive Resonanz ein, um dadurch zu
helfen und es genau kennenzulernen. Aufgrund der Verbundenheit innerhalb unserer
Matrix ist diese Resonanz auf der Gefühlsebene möglich. Der Problemzusammenhang
beginnt sich in den Gefühlen und Handlungen der Stellvertreter auszudrücken und
lässt sich anschließend gezielt „reparieren, korrigieren, heilen“. Ein
Stellvertreter, der nicht mehr „mitspielen“ möchte, weil es ihm zu unangenehm
wird oder er andere Bedürfnisse hat, sagt: „Ich stehe jetzt nicht weiter zur
Verfügung. Sucht bitte jemand anderen für diese Rolle. Ich lege sie nun ab.“ Er
geht – und die wahrnehmenden Rollengefühle verschwinden bei ihm sofort.
Anerkennung befreit
Im
Alltag sind sich viele Menschen gar nicht bewusst, dass sie durch ihre eigenen
Veränderungswünsche oder durch das Sich-zur-Verfügung-Stellen für die
Veränderungswünsche eines anderen Menschen eine Resonanz zu dem entsprechenden Problem
herstellen. Sie wundern sich und klagen, wenn sie sich in bestimmten
Zusammenhängen plötzlich nicht mehr so gut fühlen. Dabei ist das Unwohlgefühl
eine einfache Resonanz zu dem Problem, das nach einer Lösung (= Veränderung) strebt.
Der Satz „Ich stehe dafür nicht mehr zur Verfügung“ und das anschließende
Verschwinden der unangenehmen Resonanzgefühle bestätigen diesen Zusammenhang
immer wieder. Dabei ist es wichtig, gleichzeitig auch den eigenen
Veränderungswunsch zu entlarven und aufzugeben. Das geschieht am besten, wenn
man das, was vorher verändert werden sollte, nun annimmt und so achtet, wie es
ist. Aus diesem Grund haben die achtungsvollen Rituale beim Familienstellen und
das Würdigen eines Zusammenhangs oft eine befreiende Wirkung für die
Beteiligten. Achtet man etwas, wie es ist, so wird ein Hilfs- oder Veränderungswunsch
aufgegeben, die Resonanz zu dem Problem wird nicht mehr benötigt und alle damit
korrespondierenden Gefühle und auch unangenehmen Körpersymptome verschwinden.
Das kann sogar so weit gehen, dass sich im Alltag Verlustängste,
Minderwertigkeitsgefühle, Pechsträhnen oder auch bestimmte Krankheiten
verbessern oder ganz in Luft auflösen.
Wir haben immer die Wahl
Umgekehrt
kann man die Resonanzgefühle im Alltag auch sehr gut nutzen, um die Situation,
der man gerade zur Verfügung steht, besser zu verstehen. Man kann helfende
Maßnahmen zur Verfügung stellen oder dem Problemträger auf eine Art und Weise Verständnis
entgegenbringen, so dass ihm geholfen wird, sein Problem zu lösen.
Wollen
wir uns in der Matrix freier als bisher bewegen, so können wir die folgenden
beiden „neutralen“ Werkzeuge realisieren und sie unserem momentanen Ziel
entsprechend einsetzen. Wir haben immer die Wahl zwischen:
a)
„Wunsch nach Veränderung“. Er hat zur Folge, sich mit etwas intensiver zu
verbinden, es genauer wahrzunehmen, um es kennenzulernen. Es entstehen
wahrnehmende Gefühle in uns, mit deren Hilfe wir etwas gezielt verändern
können.
b)
„Anerkennen was ist“. Dies hat zur Folge, eine intensive Verbindung
loszulassen. Die ganzkörperliche Wahrnehmung dessen tritt mehr in den
Hintergrund. Resonanzen werden schwächer und damit verbundene Gefühle
verschwinden.
Selbstverantwortung heilt
Wer
sich dieser beiden Werkzeuge bewusst ist, hält damit die Lösung für seine
eigenen Ungleichgewichte in der Hand und kann nun die volle Verantwortung dafür
übernehmen. Man kann jedes Problem aktiv auf eine der folgenden zwei Weisen lösen:
1)
Sie lösen es in und mit sich selbst, z. B. mit Hilfe verschiedener psychologischer
Selbsthilfetechniken, die in vielen Lebenshilfebüchern zahlreich angeboten
werden, oder im Extremfall auch mit professioneller psychotherapeutischer Beratung.
Dabei ist es wichtig, sich selbst zu fragen: Welchen (unbewussten)
Veränderungswunsch in mir habe ich noch nicht erfüllen oder aufgeben können?
2)
Sie suchen nach der Klarheit und Bestätigung, dass das gefühlte Problem absolut
nichts mit Ihnen zu tun hat, es also nur eine Wahrnehmung von Ungleichgewichten
in Ihrem Umfeld darstellt. Dann können Sie daran auch nichts ändern und es
anerkennen, wie es ist. Als Folge dieser Erkenntnis löst sich Ihr
Veränderungswunsch auf, womit auch Ihre Resonanz und letztendlich das gefühlte
Problem verschwindet. Sie stehen für dieses Problem nun nicht mehr zur Verfügung.
Mit
diesem Wissen sind wir frei, selbstverantwortlich zu bestimmen, wann, wie oft,
wie lange und auch wie intensiv wir für die Lösung von Problemen zur Verfügung
stehen wollen.
Aufgrund
einer universellen Verbundenheit beruht unser Leben auf Anziehung und Resonanz.
Wir haben in ihr viel öfter die freie Wahl als wir bisher dachten.
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Veröffentlicht in "Visionen" 11/2008, S. 36 ff.
Familienprobleme – oft nur Theater?
Unbewusste Rollenspiele erkennen und beenden
von Olaf Jacobsen
„Ich sehe was, was du nicht siehst“
Wir kennen es aus Kinofilmen: Ein Mädchen nimmt Kontakt zu kleinen
Fabelwesen auf, spricht mit ihnen und erhält dadurch bestimmte
Botschaften. Mit diesen Informationen geht das Kind begeistert zu
seinen Eltern und erzählt es. Die Eltern schütteln nur den
Kopf und nehmen das Kind nicht ernst.
Weil der Kinozuschauer eingeweiht ist, steht er auf der Seite des
Mädchens. Er hält die Eltern für uneinsichtig. Das
Mädchen ist traurig oder verzweifelt und fühlt sich nicht
verstanden. Klar, denn es hat den Eltern eine Erfahrung voraus. Und so
besteht eine Kluft zwischen dem Mädchen und seinen Eltern. Umso
mehr erfreut es alle (Mädchen und Zuschauer), wenn die Eltern am
Ende erstaunt mit offenem Munde die Fabelwesen selbst sehen
können.
Der Kinozuschauer geht nach Hause, begegnet auf dem Heimweg einem
Freund, der begeistert von den Phänomenen einer
Familienaufstellung erzählt. Doch der Kinozuschauer schüttelt
nur den Kopf und nimmt den Freund nicht ernst…
Es besteht eine Kluft zwischen Menschen, die das Familienstellen schon
einmal erlebt haben, und denjenigen, die es nicht kennen. Und es gibt
eine weitere Kluft zwischen den Menschen, die schon einmal Freie
Systemische Aufstellungen durchgeführt haben, und denjenigen, die
„nur“ das geführte Aufstellen kennen.
Freie Familien-Aufstellungen
Im Folgenden werde ich kurz die Phänomene des „freien“
Aufstellens beschreiben. Diejenigen Leser, die noch keine Erfahrungen
diesbezüglich gemacht haben, werden vielleicht den Kopf
schütteln. Die übrigen werden erkennen, wie man diese
Phänomene sogar noch auf den Alltag, in die eigene Familie
übertragen kann.
Beim freien Stellen leiten die Teilnehmer ihre Aufstellung selbst. Sie
haben die Wahl, ob sie ihr Problem verdeckt oder offen aufstellen.
Meistens wird verdeckt begonnen: Der Teilnehmer überlegt sich, was
er genau anschauen möchte. Angenommen, es besteht ein Problem in
seiner Gegenwartsfamilie. Dann sucht er aus der Gruppe Personen aus,
die seine Familienmitglieder stellvertreten sollen. Er sucht einen
Stellvertreter für sich, eine Stellvertreterin für seine Frau
und zwei für die Kinder. Doch er sagt den Stellvertretern weder,
welches Problem er hier aufstellt, noch, welche Rollen die jeweiligen
Personen innehaben. Er stellt es sich nur innerlich vor, wer wen
darstellt. Niemand aus der Gruppe ist eingeweiht – auch der
Moderator nicht. Die Stellvertreter werden auch nicht aufgestellt,
sondern stellen sich einfach nur zur Verfügung und beginnen nach
ihren eigenen Gefühlen und Impulsen ein spontanes Rollenspiel. Es
besteht also absolut keine Chance, dass den Stellvertretern
irgendwelche Informationen über die Situation gegeben werden
– nicht einmal nonverbal. Der aufstellende Teilnehmer muss auch
die Stellvertreter nicht direkt aussuchen. Er kann einfach nur in die
Gruppe rufen: „Wer möchte gerne die erste Rolle
übernehmen? Wer die zweite?“ usw. So wird auch noch die
letzte Beeinflussungsmöglichkeit ausgeschlossen, dass die
aufstellende Person sich intuitiv Leute aus der Gruppe aussucht, die
den Familienmitgliedern in gewisser Weise entsprechen.
Das Phänomen: Wenn die Stellvertreter sich für die
Aufstellung zur Verfügung stellen und das spontane Rollenspiel
miteinander beginnen, entdeckt die aufstellende Person in den
Verhaltensweisen der Stellvertreter sofort die Dynamik der eigenen
Familie wieder. Die Problemsituation spiegelt sich eindeutig! Und nun
kann erforscht, den Stellvertretern Fragen gestellt und mit der ganzen
Situation experimentell umgegangen werden, bis man eine Lösung
für das Problem gefunden hat.
Ist die Aufstellung beendet und gehen die Stellvertreter aus ihren
Rollen, stehen nun also der Aufstellung nicht mehr zur Verfügung,
dann beenden sich auch die entsprechenden Rollengefühle wieder.
Unfreiwillige Aufstellungen im Alltag
Aus der Sicht als Stellvertreter: Eine Person aus einer Gruppe stellt
sich als Stellvertreter zur Verfügung, erfährt während
der Aufstellung verschiedene zur Problematik passende Gefühle und
Impulse, die sich dann wieder beenden, wenn die Aufstellung
aufhört oder die Person sich der Aufstellung nicht mehr zur
Verfügung stellt und wieder in der Gruppe Platz nimmt. Dies
läuft so „natürlich“ ab, ohne besondere
Konzentration oder Rituale, dass ich dieses Phänomen im Alltag
suchte. Ich fragte mich: Könnte das Leben nicht ständig aus
lauter kleinen oder größeren unabsichtlichen Aufstellungen
bestehen? Seit dieser Frage entdecke ich es überall wieder. Und es
passieren lauter kleine Wunder, sobald ich noch weitere
Zusammenhänge des Familienstellens direkt auf den Alltag
übertrage. Wenn ich mir z.B. in bestimmten Situationen mit
Freunden innerlich sage: „Ich stehe jetzt dieser Aufstellung hier
nicht weiter zur Verfügung“ verschwinden auf einmal
Gefühle, die ich vorher noch in problematischer Weise spürte.
Einfach genial!
… und so besteht nun eine Kluft zwischen mir und all den
Menschen, die so etwas bisher noch nicht erlebt haben und
ungläubig den Kopf schütteln. Ich kann nur empfehlen:
ausprobieren und erfahren!
Spiegelungs-Beispiele aus der Familie
Schauen wir uns eine Familie unter diesem Gesichtspunkt genauer an:
Eine Mutter wachte eines Morgens mit unguten Gefühlen auf. Ihr
ging es nicht gut. Auch ihr Sohn kam kaum aus dem Bett und klagte:
„Mami, mir ist so schlecht – ich möchte heute nicht
zur Schule!“
Die Mutter kennt die Resonanz zwischen Eltern und Kindern und sagte:
„Das ist meins. Nicht dir geht es schlecht, sondern mir –
und zwar ganz heftig! Du brauchst mir dafür nicht zur
Verfügung zu stehen.“ Das Kind schlappte ins Bad – und
nach 10 Minuten kam es voller Energie in die Küche,
frühstückte herzhaft und ging fröhlich zur Schule.
Ein anderes Beispiel: Meine Partnerin und ich organisieren manchmal
private freie Aufstellungen bei uns zu Hause. Während meine
Partnerin ein eigenes Thema aufstellte und die Aufstellung gerade
voller Spannungen war, hörten wir, wie sich ihre beiden Kinder im
oberen Stockwerk zu streiten begannen. Die Kinder konnten nicht wissen,
in welcher Energie sich ihre Mutter gerade befand – und doch
drückte es sich sofort in Form eines Streites zwischen ihnen aus.
Oft besteht eine Lösung in einer Familienaufstellung darin, dass
man eine „Last“ an die eigenen Eltern zurückgibt.
Dieses Ritual bedeutet nichts anderes als: „Lieber Papa, liebe
Mama, ich spiele jetzt für euch keine Aufstellung mehr. Ich stehe
für das Spiegeln eurer Spannungen nicht weiter zur
Verfügung.“ Immer wieder zeigt dies, dass Menschen vorher in
einer unabsichtlichen Aufstellung gegenüber ihren eigenen Eltern
stecken geblieben waren. Da Kinder ihren Eltern immer untergeordnet
sind, stehen sie damit auch den Ungleichgewichten der Eltern zur
Verfügung, befinden sich in Resonanz und haben – wie in
einer Aufstellung – für die Eltern oft Stellvertreterrollen.
Die Kinder spielen Rollen für diejenigen Anteile der Eltern, die
die Eltern in ihrem Leben bisher noch nicht integrieren konnten. Nutzen
die Eltern diesen Spiegel aber nicht und arbeiten auch nicht an sich
selbst, so fangen im Laufe der Zeit die Kinder an, sich mit diesen
Rollen zu identifizieren. Erst wenn sie als Erwachsene erkennen, dass
es übernommene Gefühle und Verhaltensweisen sind, die sie da
leben, können sie diese den Eltern zurückgeben, indem sie aus
dieser schon seit Kindheit dauernden Aufstellung herausgehen und sich
selbst sagen, dass sie den Eltern dafür nicht weiter zur
Verfügung stehen („Ich achte dich und dein Schicksal und
lasse es ganz bei dir“).
Entlastungs-Beispiele
Eltern, die sich der spiegelnden Funktion ihrer Kinder bewusst sind,
können sie entlasten, indem sie ihnen erlauben, sich nun nicht
weiter für eine bestimmte Energieform zur Verfügung stellen
zu müssen. Dabei haben die Eltern immer die Wahl, ob sie ihr
inneres Ungleichgewicht nun mit Hilfe dieses Spiegels lösen oder
es noch bestehen lassen. Man kann Kinder auch entlasten, indem man
ihnen klar macht, was sie hier gerade spiegeln, dass es nicht zu ihnen
gehört sondern zu einem selbst, und ihnen dann einfach erlaubt,
das Spiegeln zu beenden.
Diese Möglichkeit entlastet Eltern, die sich bewusst sind, dass
sie selbst noch ein großes momentan nicht lösbares Problem
haben, die aber bisher nicht wussten, wie sie ihr Kind davor bewahren
können. Klären Sie ihr Kind bezüglich der Rolle auf, die
es gerade spielt, und entlassen Sie es liebevoll aus der Rolle. Sie
können auch sagen: „So wie du spürst, wenn ich gute
Laune habe, spürst du auch, wenn es mir nicht so gut geht. Lieb
von dir, aber das ist mein Problem. Du brauchst dich nicht darum zu
kümmern.“ … und dann staunen Sie über das Wunder
eines fröhlichen und entlasteten Kindes.
Manchmal können wir erleben, wie unser Partner sich wie ein
provozierendes Kind oder ein strafender Elternteil uns gegenüber
verhält. Der andere macht sich klein – oder macht sich
besonders groß. Auch hier besteht die Möglichkeit, unserem
Gegenüber zunächst mitzuteilen: „Du erinnerst mich
jetzt gerade an ein kleines Kind.“ Oder: „Du erinnerst mich
jetzt gerade an meinen Vater.“ Als nächstes erzählen
Sie, wie Sie diese Rolle zu ihrem eigenen momentanen Problem zuordnen
oder welches Gefühl es in ihnen auslöst. Sie sagen, dass Sie
darüber nachdenken werden und nun ihrem Partner erlauben, diese
Rolle wieder abzulegen. War das Verhalten des Partners tatsächlich
eine spiegelnde Stellvertreterrolle, dann wird sich nun sein Verhalten
sofort verändern.
Wenn wir selbst umgekehrt das Gefühl haben, für unseren
Partner gerade eine Stellvertreterrolle zu spielen, dann können
wir das formulieren. Wir können auch Vermutungen anstellen, warum
und was wir hier gerade spiegeln, und können anschließend
mitteilen: „Wenn du nichts dagegen hast, lege ich diese
spiegelnde Rolle nun wieder ab und stehe dir dafür nicht weiter
zur Verfügung. Ist das in Ordnung für dich?“
Manchmal können wir schon im Voraus unabsichtliche
Gefühlsübertragungen vermeiden, indem wir unserem Partner
sagen: „Ich möchte dir jetzt nur erzählen, wie es mir
gerade geht. Du brauchst mir aber nicht für eine Hilfe zur
Verfügung zu stehen. Ich brauche einfach nur, dass mir jemand
zuhört, mich versteht und ich meine Probleme einmal in Worte
gefasst habe.“ Denn oft, wenn einer klagt, stellt sich der andere
zur Verfügung und gibt Ratschläge, weil er sich beim
Zuhören nicht gut fühlt. Mit dieser Botschaft ist er jedoch
von vornherein entlastet.
Mehr Verhaltenspielraum gewinnen
Selbstverständlich bestehen nicht alle unsere mitmenschlichen
Probleme aus unabsichtlichen Aufstellungen und dem Nichtwissen um die
Möglichkeit, sich selbst oder andere aus Rollen zu entlassen.
Natürlich gibt es nach wie vor einen Großteil unserer
Probleme, den wir auf herkömmliche Weise lösen müssen,
durch Selbstreflexion, Umwandlung von Abwehr in Annahme, Meditation,
Selbsterkenntnis, viele verschiedene therapeutische Methoden, etc. Und
natürlich können wir die alltäglichen Aufstellungen auch
erfolgreich als Spiegel für uns nutzen. Aber das Wissen um die
Möglichkeit, sich selbst und andere aus unabsichtlich
übernommenen Rollen wieder zu entlassen, erweitert unser
Verhaltensspektrum enorm – und führt leider zu einer
weiteren Kluft zu den Menschen, die das alles nicht nachvollziehen
können...
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Veröffentlicht in "Wegweiser" 5/2010, S. 26
Wünsche wecken Wirkungen und Wertungen
von Olaf Jacobsen
Ich sitze am Klavier und spiele vor mich hin – planlos. Meine
Partnerin kommt in den Raum und fragt mich etwas. Später klingelt
das Telefon – ein Klient möchte einen Beratungstermin.
Anschließend setze ich mich wieder an das Klavier und spiele
weiter – planlos. Ich fühle mich ausgeglichen und
genieße, was passiert.
Am nächsten Tag höre ich im Radio ein geniales
Klavierstück von Chopin. Ich bin begeistert und möchte es
spielen können. Gleichzeitig fällt mir ein, dass in zwei
Wochen ein Freund von mir seinen runden Geburtstag feiert. Das
wäre ja die Gelegenheit, dieses Klavierstück vorzuspielen.
Ich weiß, dass es knapp wird, doch ich werde es hinbekommen.
Gezielt plane ich meine Zeit so effektiv, dass ich in zwei Wochen das
Stück beherrsche. Hochmotiviert beginne ich zu üben. Der
Gedanke an den Auftritt und das erfreute Gesicht meines Freundes lassen
mich selbst schon Vorfreude fühlen. Meine Partnerin kommt in den
Raum und fragt mich etwas. Ich fühle mich gestört – so
eine banale Frage, damit hätte sie auch warten können! Meine
Bitte an sie: mich nicht mehr stören.
Ich übe weiter – das Telefon klingelt. Genervt ergreife ich
den Hörer. Ein anderer Klient möchte einen Termin. Ich gebe
ihm einen in drei Wochen. Für ihn ist es aber sehr dringend
– ob ich nicht noch einen früheren Termin hätte. Bei
dem Gedanken gerate ich unter Druck, denn es könnte sein, dass ich
das Klavierstück nicht mehr rechtzeitig lerne. Ich bin im
Zwiespalt und werde leicht unfreundlich, schaffe es aber, mich
zusammenzureißen. Wenn ich jedoch ganz ehrlich wäre: Ich
habe absolut keinen Bock, diesem Klienten überhaupt noch zur
Verfügung zu stehen. Warum versteht er nicht, dass ich ihm bereits
den frühesten möglichen Termin gegeben habe? Warum muss er
noch einmal nach einem früheren Termin fragen – und mich
dadurch in diesen Zwiespalt bringen, „Nein“ sagen zu
müssen?
Ich verallgemeinere: Sobald wir einen Wunsch haben, so entstehen als
Folgen automatisch Wertungen. Es gibt nun Dinge oder Situationen, die
dem Erreichen unseres Zieles dienen, und andere, die hinderlich sind
und uns vom Ziel abhalten oder uns behindern. Diese Unterscheidung ist
eine völlig normale und natürliche „Wertung“: Das
eine gehört dazu, und das andere nicht. Möchte ich ein
Klavierstück spielen, so gibt es Töne, die (zum richtigen
Zeitpunkt gespielt) dazugehören, und andere Töne, die nicht
dazugehören.
Unsere Probleme entstehen in dem Moment, in dem wir intensiv an einem
Ziel festhalten und gleichzeitig etwas anderes uns intensiv daran
hindert, das Ziel zu erreichen. Wir beginnen zu kämpfen und nach
Lösungen zu suchen. Eine von vielen Lösungen könnte
sein, das Ziel loszulassen, den Wunsch in der momentan bestehenden Form
wieder aufzugeben. Buddha soll gesagt haben: „Das Begehren ist
die Ursache des Leidens.“ Das erscheint in diesem Zusammenhang
nun logisch. Sobald in uns ein Wunsch, ein Ziel, ein Begehren
existiert, teilt sich für uns ganz automatisch unsere Welt in zwei
Pole auf: Es entstehen für uns sowohl Unterstützungen als
auch Hindernisse, richtige und falsche Töne. Polarität.
Dementsprechend ist das Begehren gleichzeitig auch die Ursache des
Glücks, denn manchmal können wir unsere Ziele auch erreichen,
spielen die richtigen Töne, erfahren die passende Resonanz und
freuen uns darüber. Das Begehren ist sowohl die Ursache des
Leidens als auch des Glücks, des Auf und des Abs, kurz: der
„Bewegung“. Haben wir keinen Wunsch, kein Ziel, kein
Begehren, geben wir also für eine gewisse Zeit all unsere Ziele
auf, so verschwinden gleichzeitig jegliche Wertungen und Bewegungen vom
Positiven ins Negative oder umgekehrt. Man „ist“ nur noch.
„Ich bin“. Und damit ist man auf der Ebene angekommen, die
von so vielen Erleuchteten beschrieben werden – die Ebene des
einfachen Seins im Jetzt. Diese Ebene ist die Basis, die schon immer
vorhanden ist. Wir sind. Alles ist. Auf der Ebene der Existenz ist
alles gleich. Hier gibt es keine Wertungen, denn es gibt nichts, das
nicht dazugehört.
(Dieses Thema habe ich ausführlicher im Buch „Ich stehe
nicht mehr zur Verfügung – Die Folgen“ behandelt)
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Freies Familienstellen in Köln
Gespräch mit Olaf Jacobsen
Januar 2011
Olaf Jacobsen ist der Begründer des Freien Familienstellens und
Bestsellerautor. Er lebt seit 2009 in Köln und möchte hier
seine Methode des eigenverantwortlichen Aufstellens den Menschen nahe
bringen. Mit dem Buch „Ich stehe nicht mehr zur
Verfügung“ wurde Jacobsen deutschlandweit bekannt. Darin
zeigt er einen wirkungsvollen und einfachen Ansatz, sein eigenes Leben
zufriedener zu gestalten. Ich habe Olaf Jacobsen in seinem Domizil in
Köln-Ossendorf besucht, und mit ihm u.a. über das
Phänomen des Aufstellens gesprochen. Und ich war erstaunt…
Olaf, du bist in Neumünster aufgewachsen. Wie bist du nach Köln gekommen?
Ich habe in Karlsruhe studiert. Es war nie meine Herzensstadt, sondern
"nur" eine Übergangslösung. Ich hatte lange Zeit nicht so
viel Geld, dass ich mir einen Umzug und einen Neuanfang in einer
anderen Stadt leisten konnte. Doch dann durfte ich einen Bestseller
schreiben: "Ich stehe nicht mehr zur Verfügung". Und nun standen
mir die Mittel zur Verfügung, mir die Stadt auszusuchen, in die
mich mein Herz zieht. Und das ist Köln.
Wie schön! Nun bist du da. Wie gefällt es dir hier?
Das erste, was mir aufgefallen ist, sind die offenen und freundlichen
Menschen. In Karlsruhe waren die Menschen zwar auch freundlich, doch
ich erlebte sie dort tendenziell konservativer. Köln empfinde ich
fröhlicher und auch spiritueller.
Gibt es etwas Verbesserungswürdiges?
Was ich Köln bescheinigen muss, ist, dass Karlsruhe die besser
funktionierenden Müll- Lösungen entwickelt hat (z. B. beim
Sperrmüll). Köln geht sehr knauserig mit Müllbeseitigung
um, so dass ich es hier als dreckiger empfinde. Grundsätzlich
finde ich es aber bestätigt, dass mein Herz mich nach Köln
gezogen hat, und ich freue mich, hier zu leben.
Du bist nun angekommen und bietest
Freies Familienstellen in ganz Köln an. Unter anderem im MegaHerz
in Köln-Mülheim. Was hat es damit auf sich?
Ich möchte Köln das Freie Familienstellen zeigen - und
welches Potenzial sich dahinter versteckt, um damit sein Leben
glücklicher zu gestalten. Aufstellungen kann man, außerhalb
eines therapeutischen Rahmens, direkt im Alltag einsetzen: mit dem
Partner, in der Firma, im Freundeskreis. Es ist ein großer Gewinn
für die Menschen. Deshalb biete ich dies hier ab
2011 in sehr großem Stil an. Desweiteren arbeite ich an
Büchern und werde irgendwann einen Film über das Freie
Aufstellen veröffentlichen. Auch dazu wird mir die Stadt Köln
eine Unterstützung sein.
Du hast das Freie Familienstellen begründet. Dazu auch Bücher geschrieben und in
diesem Zusammenhang dein erfolgreiches Werk „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“
veröffentlicht. Wie bist du dazu gekommen, denn eigentlich bist du studierter
Musiker…
Ersteinmal muss ich sagen, dass die Musik mit meinen Erkenntnissen
nichts zu tun hat. Es lief immer parallel. Ich habe schon als Kind
Klavier gespielt und hatte als Jugendlicher großes Interesse an
psychologischen Zusammenhängen, Gedanken und Überlegungen.
Dieses Hobby, über alles nachzudenken, zu analysieren und in mir
selbst Blockaden und
Hemmungen zu klären, hat mich auf einen großen und langen Erkenntnisweg geführt.
Also hast du schließlich deinen Beruf zum Hobby und dein Hobby zum Beruf gemacht.
Wie bist du auf das systemische Familienstellen aufmerksam geworden?
Ich habe 1996 ein Buch von Bert Hellinger gelesen, der das
traditionelle Familienstellen als Therapie in Deutschland bekannt
gemacht hat. Diese wird von Therapeuten geleitet und durchgeführt.
Bereits beim Lesen bin ich auf den Gedanken gekommen, dass diese
Methode ja auch ganz privat anwendbar ist - ohne therapeutische
Begleitung.
Wie hat sich die Idee manifestiert?
1997 erlebte ich auf dem ersten Kongress für Systemische
Aufstellungen sowohl Bert Hellinger, als auch viele andere Referenten,
die sich mit den unterschiedlichsten Formen von Aufstellungen
auseinandersetzten. Dabei bestätigte sich in mir das Gefühl:
Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, mit Aufstellungen
umzugehen, die hier niemand anbietet. 2003 entwickelte ich dann das
"Freie Aufstellen", bei dem jeder Teilnehmer ganz eigenverantwortlich
seine Aufstellung selbst leiten kann. Außerdem darf er
darüber bestimmen, wie damit umgegangen werden soll und was er
für Schlüsse daraus für sein Leben zieht.
Um auf die Eigenverantwortung weiter eingehen zu können, möchte ich dich bitten das
Systemische Familienstellen zu erklären. Wie funktioniert das?
Der Begriff "System" kommt aus dem griechisch-lateinischen und bedeutet
"Zusammenstellung". Wir Menschen benutzen das Wort, wenn wir eine
Zusammenstellung von Elementen einheitlich beschreiben wollen. Bei
einer Aufstellung wird immer eine bestimmte Gruppe von Elementen
betrachtet, wie z.B. ein Familiensystem.
Und was passiert bei diesen Elementen?
Bei den Aufstellungen ist es so, dass ein Teilnehmer eine bestimmte
Problematik mitbringt und aus der Gruppe andere Teilnehmer aussucht,
die stellvertretend für einzelne Elemente oder Personen seiner
Problematik stehen. Diese Stellvertreter entwickeln dann Gefühle,
die denen der realen Personen ähneln. Es ist ein Phänomen.
Dieser Punkt ist schwer zu begreifen. Man kann es vielleicht am ehesten
mit Kindern erklären. Wenn es den Eltern nicht so gut geht, dann
ist das Kind auch nicht so gut drauf.
Kannst du dies an einem Beispiel verdeutlichen?
Eine Frau hat bspw. Probleme mit ihrem Mann. Sie sucht sich zwei Leute
in der Gruppe aus, die den Mann und sie selbst vertreten. Diejenigen
müssen nicht mal etwas über die Thematik wissen. Die
Stellvertreter erzählen nun von ihren Gefühlen. Und sie
werden feststellen, dass die Frau zum großen Teil bestätigt,
was bei den Stellvertretern passiert. Die Stellvertreter spiegeln
intuitiv die Beziehung zu ihrem Mann wieder. Mit den auftauchenden
Gefühlen kann sie nun Lösungsansätze erarbeiten.
Es klingt unglaublich. Das funktioniert?
Das Phänomen ist wissenschaftlich nicht erklärbar. Es
existiert nur die jahrelange Erfahrung der Praktizierenden. Es gibt
eine Resonanz-Ebene, auf der sich diese Gefühle widerspiegeln. Ich
selbst mache seit ca. 8 Jahren Aufstellungen und habe vielfältige
positive Erfahrungen damit gesammelt.
Was hat die Frau nun davon, dass sich z. B. der Stellvertreter des Mannes wie
ihr Mann fühlt? Welche Möglichkeiten entstehen daraus?
An dem Punkt, wo die Gefühle widergespiegelt werden, kann sie
bspw. fragen: „Was würdest du denn jetzt brauchen, damit es
dir besser geht?“ u.s.w. Man kann experimentieren und daraus neue
Ideen und Erkenntnisse entwickeln.
Das ist interessant. Sie kann also,
ohne ihren Mann direkt zu konfrontieren, Lösungen für die
Situation ausprobieren. Du bietest deine Arbeit in ganz Köln an.
Wie funktionieren deine Veranstaltungen?
Wir beginnen mit einer kleinen Vorstellungsrunde, in der jeder seinen
Namen mitteilt und ob er gern aufstellen möchte oder lieber
erstmal nur zuschaut. Ich beschreibe kurz die Regeln des Freien
Aufstellens und anschließend losen wir aus, wer aufstellen darf.
Wenn jemand noch nie eine eigene Aufstellung durchgeführt hat,
erkläre ich ihm, was und wie er es tun kann. Derjenige sucht sich
dann aus der Gruppe Personen aus, die für bestimmte "Rollen"
stehen und damit das Problem darstellen. Diese Stellvertreter
fühlen sich dann in ihre Rolle ein und geben ein Feedback
über ihre Gefühle. Diese Gefühle können wie gesagt
oft sehr wertvolle Hinweise zur Lösung eines Problems bieten.
Das heißt es muss nicht jeder, der zur Veranstaltung kommt zwangsläufig aufstellen?
Keiner „muss“ aufstellen. Man kann auch einfach nur
zuschauen. Und für die, die unbedingt aufstellen wollen, aber
nicht ausgelost werden, gilt: Je öfter jemand zu einer Aufstellung
"Freies Familienstellen" gekommen ist und nicht ausgelost wurde, desto
eher kommt er dran. Denn man kann mit jeder Teilnahme
Aufstellungspunkte sammeln - und wer die meisten Punkte mitbringt, darf
aufstellen. Pro Abend stellt also immer einer auf, der die meisten
Punkte hat, und mindestens einer, der ausgelost wird.
Um zur Eigenverantwortung zurück zu kommen, was bedeutet Freies Aufstellen im
Gegensatz zum systemischen Familienstellen, wie es nach Hellinger betrieben wird?
Das „frei“ bedeutet, dass die Teilnehmer frei entscheiden
können, WEN sie WIE aufstellen. Normalerweise entscheidet das der
Aufstellungsleiter. Ich habe 2003 einen Rahmen entwickelt, also Regeln
aufgestellt, in dem man die Stellvertreter eigenverantwortlich für
sich selber nutzt. Das hatte damals so noch nie jemand gemacht und ich
bin sozusagen der Erste. Jetzt gibt es inzwischen immer mehr
Aufstellungsleiter, die es ein wenig freilassen.
Warum bietest du das Freie Aufstellen an?
Ich erfahre immer wieder, dass man im privaten Rahmen das Aufstellen
für alltägliche Probleme nutzen kann. Die positive Wirkung
können Menschen so in ihrem Alltag nutzen, um Probleme auf eine
andere Art zu lösen. Die Eigenverantwortlichkeit spielt hierbei
eine zentrale Rolle.
Warum?
Das Freie Aufstellen ist ein Weg um Eigenverantwortlichkeit zu
erlernen. Denn der Handelnde trägt die Verantwortung für sein
eigenes Wohlergehen selbst. Der positive Effekt bei dieser Haltung ist,
dass der Mensch so einen klareren Zugang zu seinem Selbstschutz und zu
seinen Selbstheilungskräften bekommt. Er geht nicht mehr davon
aus, dass jemand anderes
das eigene Problem für ihn löst, sondern der Mensch wird aktiv, sich selbst zu helfen.
Wie definierst du dabei deine Rolle?
Ich möchte nicht, dass die Menschen Vertrauen zu mir als Leitender
bekommen, denn ich bin kein Heiler, Arzt oder Therapeut. Sondern ich
möchte eher Menschen ansprechen, die mit der Methode
selbstständig etwas anfangen können. Menschen, die es einmal
ausprobieren wollen. Ich will nicht, dass jemand denkt, ich kann ihm
helfen. Jeder soll erfahren, dass er sich selber helfen kann. Deswegen
nehme ich mich da ein wenig zurück. Ich zeige den Menschen, was
sie aus einer Aufstellung rausziehen können. Ich zeige ihnen aber
nicht die Lösung ihrer Probleme.
Dein Buch „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“ wird durch den Windpferd
Verlag herausgegeben und ist mittlerweile über 100.000 Mal verkauft worden. Ich
vermute es geht in dem Buch um Freies Aufstellen?
Ja aber anders als vermutet. Ich habe hierbei einen alltäglichen
Zusammenhang aufgegriffen. Ich habe realisiert, wenn ein Stellvertreter
aus seiner Rolle heraus geht und nicht mehr zur Verfügung steht,
dann hört seine Rolle und somit auch die Rollen-Gefühle auf.
Das heißt, der Mensch hat keine Kopfschmerzen mehr oder
fühlt sich unter Druck gesetzt u.s.w. Ich habe darüber
nachgedacht, geforscht und erörtert, was passiert, wenn ich im
Alltag nicht mehr zur Verfügung stehe.
Wie meinst du das?
Ich meine die Situation, in der du bspw. durch den Stress von jemand
anderem angesteckt wirst. Wenn du dich dort emotional raus nimmst und
sagst, „Nein ich stehe dir für deinen Stress nicht mehr zur
Verfügung“, was passiert dann? Es fallen bestimmte
Gefühle von dir ab und es geht dir besser. Darum geht es in dem
Buch. Ich habe dieses Phänomen der Aufstellungen in den Alltag
übertragen und mir überlegt, wo stehen wir uns eventuell
selbst im Weg.
Warum tust du das? Bücher schreiben, Vorträge und Seminare halten…Welche
Motivation steckt dahinter?
Ich empfinde es so, im Laufe meines Lebens durch meine Erfahrungen und
Überlegungen Sichtweisen gefunden zu haben, die mir eine
große Klarheit, Sicherheit und viele glückliche Momente
bieten. Dies möchte ich auch anderen Menschen zur Verfügung
stellen.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Dass die Weisheit unserer Gefühle und damit auch das Potenzial des
Phänomens "Freies Aufstellen" von vielen Menschen erkannt und
genutzt werden kann - und es sich in vielen Zweigen unseres Lebens als
wertvolles Werkzeug etabliert.
Vielen Dank und viel Erfolg!
Ilka Baum (Köln Mühlheim)
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