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Olaf Jacobsen

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DAS FREIE AUFSTELLEN

Gruppendynamik als Spiegel der Seele


Eine Einführung in eine freie Form der Systemischen Aufstellungen

mit einem Geleitwort von Dr. Frieder Lauxmann

Broschur, Publishing on Demand, 212 Seiten, 21x14,80cm
14,50 Euro (D), 16,50 (A), 26,50 sfr (CH)
ISBN 978-3-936116-61-8, 2. Fassung 2004

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Dieses Buch erweitert auf einzigartige Weise den Blick auf die Systemischen Aufstellungen.
Olaf Jacobsen beschreibt eine beeindruckende Form der Aufstellung, die von jedem organisiert werden kann. Sie hat ihre Wurzeln im traditionellen Familien-Stellen und bietet dadurch eine wichtige und attraktive Ergänzung für die Aufstellungsarbeit.

Beim Freien Aufstellen kommt es nicht darauf an, ob jemand eine therapeutische Ausbildung besitzt, mit welchem Anliegen aufgestellt wird oder in welcher inneren Haltung man zu den Geschehnissen steht. Es kann von jedem angewandt, angeboten oder genutzt werden. Jeder ist hier eigenverantwortlich und verschließt oder öffnet sich so weit, wie es für ihn stimmt. Auf eindrucksvolle Weise kann man lernen, die Folgen seiner Entscheidungen selbst zu tragen.

Die "Freie Systemische Aufstellung" hat aufgrund ihrer offenen Gruppendynamik und des faszinierenden Phänomens der "repräsentierenden Wahrnehmung" keinen konstanten Leiter. Die Gruppe stellt sich jeweils abwechselnd für eine Person zur Verfügung, die ein Anliegen mitbringt, und spiegelt es kraftvoll in einem von Gefühlen und Intuitionen gesteuerten Rollenspiel. Oft werden interessante Entwicklungsmöglichkeiten vorgeschlagen, durch die man zu erstaunlichen Erkenntnissen gelangen kann.

Ohne fremde Hilfe lässt sich diese freie Aufstellungsform auch allein anwenden. Sie kann ebenso wie Tarot-Karten, ein Orakel oder das I-Ging als Selbstreflexion genutzt werden.


Inhaltsübersicht
Zum Geleit (von Dr. jur. Frieder Lauxmann) (Ausschnitt s.u.)
Dank
Einleitung (Ausschnitte s.u.)
Zur Vorgeschichte * Jeder sieht einen Teil der allumfassenden Wahrheit * Eine neue gesellschaftliche Lebensform
I Die Leitungsfunktion Teilnahmegebühren * Der gastgebende Moderator * Ein Wechsel der Leitung kann eine Wirkung haben * Gruppendynamik als Spiegel * Die aufstellenden TeilnehmerInnen leiten * Chaos in der Gruppe ist stimmig, oder: Das leitende Durcheinander * Die Gruppe besitzt eine tiefe Weisheit * Impulse haben keine Quelle
II Der Ablauf einer freien Aufstellung Wer beginnt? * Erläutern seines Anliegens * Das Aussuchen und Aufstellen der StellvertreterInnen * Frei umgehen mit seiner Aufstellung * Was zeigt eine Aufstellung? * Freies Reden und Handeln während der Aufstellung * Erspüren der eigenen Aufstellung * Und danach? * Was wirkt?
III StellvertreterInnen und ZuschauerInnen Jeder sorgt für sich selbst * Rückzug aus einer Rolle * Der gastgebende Moderator als Stellvertreter * Wechsel von StellvertreterInnen * Sich öffnen heißt Fließen * Wut * Unterstützende Haltungen gegenüber anderen * Gefahren * Kinder und Aufstellungen
IV Das Phänomen Wie funktioniert Wahrnehmung? * Die repräsentierende Wahrnehmung * Im Gleichgewicht * Autonomie / Demut - ein Gegensatz? * Selbstwahrnehmung in vollkommener Verbundenheit * Was ist Verantwortung? * Die Pflicht zu reagieren * Die verantwortliche Ursache * "Brillenwechsel" * Die schmerzhaften Teile der vollkommenen Einheit
V Ergänzungen Allein Aufstellen * Nur eine Vision? * Kollision mit dem Gesetz? * Die repräsentierende Wahrnehmung im Alltag * Dieses Buch als Spiegel * Unvollständigkeit
Die Regeln für die "Freie Aufstellung als Spiegel"
Über den Autor
Literatur


Ausschnitte aus dem Anfang des Buches
Zum Geleit
"Unerforschlich einbegriffen leben wir in der strömenden All-Gegenseitigkeit". Diesen Satz schrieb der Religionsphilosoph Martin Buber 1923. Angesichts der über ein halbes Jahrhunder später von Bert Hellinger initiierten "Familienaufstellungen" ist dieser Gedanke geradezu prophetisch. Doch im Grunde handelt es sich dabei um ein Wissen, mit dem die Menschheit mehr oder weniger unreflektiert seit Anbeginn lebt. Jenseits gelehrter Philosophie und Psychologie greift Olaf Jacobsen dieses Thema wieder auf. Mit kritischem Blick für das Wesentliche und unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit entwickelt er das Prinzip solcher Aufstellungen weiter und eröffnet so ganz neue Aspekte. Die anderen werden zum Spiegel, in dem wir uns selbst wahr-nehmen können. Im Vordergrund der von Jacobsen selbst praktizierten Aufstellungen steht nicht die Absicht, schnelle Heilung vorzuweisen, sondern zunächst einmal die, der Selbsterkenntnis auf die Sprünge zu helfen, denn sie ist die Voraussetzung jeder seelischen Gesundung. Auch dies ist ein menschheitsalter Gedanke. Mit ihm wurden die Pilger am Heiligtum in Delphi begrüßt: "Erkenne dich selbst!" Die Art und Weise, wie Olaf Jacobsen seine persönlichen Beobachtungen und für das Gebiet der Aufstellungen revolutionären Erkenntnisse in diesem Buch darstellt, ist schon ein Beispiel dafür, was so ein Spiegel bewirken kann.
Frieder Lauxmann
Karlsruhe, 19.September 2003

Einleitung
Zur Vorgeschichte

Die Systemischen Aufstellungen üben in letzter Zeit eine ständig wachsende Anziehungskraft aus. Sie sprießen überall wie Pilze aus dem Boden und sind in den vergangenen Jahren immer bekannter geworden.
Besonders ein Mann hat durch seinen (teilweise umstrittenen) Umgang mit dem Familien-Stellen und durch seine ansprechenden Einsichten über Rangfolgen dazu beigetragen, dass sich eine stetig wachsende Zahl von Menschen mit Aufstellungen auseinandersetzt: Anton 'Suitbert' Hellinger, kurz: Bert Hellinger. Es gibt inzwischen viele eindrucksvolle Veröffentlichungen von ihm und über seine Arbeit. Doch nicht nur er, sondern viele andere haben sich beruflich auf das Aufstellen konzentriert. Einige bieten direkt das "Familien-Stellen nach Bert Hellinger" an, andere gehen neue Wege und entwickeln weitere attraktive Formen der Systemischen Aufstellungen, z.B. Strukturaufstellungen, Homöopathische Aufstellungen, Drehbuchaufstellungen, Organisationsaufstellungen (für Firmen, Teams, Vorstände, ...), usw. Dabei werden Aufstellungsabläufe, Prozesse und Erfahrungen oft schriftlich oder mit Hilfe von Videos dokumentiert und kommentiert.
(...)
Sowohl innerhalb der "Aufstellungsszene" als auch in der Öffentlichkeit wird über Aufstellungen zum Teil heftig diskutiert. Auf der einen Seite gibt es viele Begeisterte, die glauben, für sich eine geheimnisvolle Heilmethode entdeckt zu haben, auf der anderen Seite steht eine Vielzahl von Kritikern, die bestimmte Gefahren vermuten. Sie sind der Meinung, dass Menschen in eine emotionale Abhängigkeit geraten können, in eine Einschränkung ihrer Autonomie. Demütigungen, Missbrauch und Schädigungen der Psyche sind weitere befürchtete Folgen.
(...)
Anfang Mai 2003 fand die 4. Internationale Arbeitstagung zu Systemaufstellungen in Würzburg statt. In der letzten Verantstaltung, die als "Open Space" durchgeführt wurde (eine von Harrison Owen vorgestellte Form der Gruppenselbstorganisation), bot ich eine Diskussionsrunde zum Thema "Gibt es eine Verantwortung des Aufstellungsleiters gegenüber anderen?" an. Obwohl parallel zu meiner Anregung noch ca. 60 weitere Themen angeboten wurden, war ich der Meinung, dass hier ein großer Klärungsbedarf vorhanden und die Nachfrage entsprechend hoch sein müsste. Doch von über 2300 TagungsteilnehmerInnen zeigten sich nur 15 Personen interessiert. Meine Überlegung war, dass wahrscheinlich viele diese Frage für sich geklärt haben bzw. sie als zweitrangig oder zu provokativ empfinden. Weitere Nachforschungen zeigten mir, dass oft TherapeutInnen und AufstellerInnen diese Frage wie selbstverständlich mit "ja" beantworten. Einige sind der Meinung, dass man generell im Umgang mit anderen Menschen eine gewisse Verantwortung für diese trägt, im Rahmen von Aufstellungen also besonders.

Im Dezember 2002 erschien in der Fachzeitschrift "Praxis der Systemaufstellung" (Heft 2002/2) ein Artikel von mir. Unter dem Titel "Die Konsequenzen eines Aufstellungsleiters" setzte ich mich auf etwas "besserwisserische" Art und Weise mit diesem Thema auseinander. Ich schrieb, dass ich es für eine Illusion halten würde, Verantwortung für andere Menschen übernehmen zu können. Und deshalb könnten auch Personen mit wenig therapeutischen Erfahrungen Aufstellungen organisieren und kraftvoll begleiten. Viel entscheidender sei, welche Sichtweise ein Mensch hat.
Erfahrene Aufstellungsleiter und Seminarteilnehmer erklärten daraufhin, es würde eine wichtige Rolle spielen, Menschen ein geborgenes Umfeld zu bieten, damit sie sich vertrauensvoll ihren Problemen und Emotionen stellen können. Selbstverständlich habe ein Leiter eine gewisse Mitverantwortung für die TeilnehmerInnen in diesem geschützten Rahmen und benötige dazu langjährige therapeutische Erfahrungen.

Hinter der Frage, ob ein Leiter Verantwortung für andere Menschen übernehmen darf, soll oder überhaupt kann, verbirgt sich meiner Ansicht nach jedoch eine grandiose Chance: Wir haben die Möglichkeit, ein neues wertvolles und beeindruckendes Potenzial der Aufstellungsarbeit zu entwickeln - und damit gleichzeitig ein Potenzial unserer eigenen Sinne.
(...)
In mir entwickelte sich der Drang, andere davon überzeugen zu wollen, ja fast überzeugen zu "müssen", dass Verantwortungsübernahme eindeutig eine Illusion ist. Ich fand die Sichtweise falsch, dass ein Mensch mit vielen Erfahrungen für einen anderen Menschen Verantwortung tragen kann. Der Standpunkt der anderen war der falsche, meiner dagegen der richtige. So stieß ich natürlich auf Widerstand. Man fühlte sich von mir angegriffen. Und ich bekam das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen.
Mit dieser Einstellung begann ich, an dem Buch zu arbeiten

Jeder sieht einen Teil der allumfassenden Wahrheit

Doch dann hatte ich in einem Workshop beim Begleiten einer Aufstellung eine wichtige Einsicht, die mich beide Seiten integrieren ließ. Ich erläuterte anschließend der Gruppe meine gerade neu gewonnene Erkenntnis mit Hilfe eines Beispiels:
"Ihr kennt die großen vierspurigen Straßenkreuzungen, bei denen der Fußgängerüberweg durch eine Verkehrsinsel in der Mitte in zwei Abschnitte unterteilt ist. Als ich bei Grün über die Straße ging, kam mir beim Überqueren des zweiten Abschnittes ein Auto entgegen. Es wollte abbiegen, musste aber darauf warten, bis ich die Straße vollständig überquert hatte. Der Autofahrer hupte, machte aufgeregte Handzeichen, wirkte wütend und fuhr dicht an mich heran. Nachdem ich endlich vorbeigegangen war, flitzte er hinter mir mit quietschenden Reifen davon. Ich wunderte mich und verstand ihn nicht, denn ich hatte doch nichts verkehrt gemacht. Mene Ampel zeigte mir die ganze Zeit Grün an. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass die Fußgängerampel auf der Insel bereits auf Rot stand. Ich verglich noch einmal mit der Ampel, auf die ich zugegangen war: ... immer noch grün.
Jetzt konnte ich das Verhalten des Autofahrers nachvollziehen. Er war der Meinung, ich würde gemütlich bei Rot über die Straße gehen. Denn er sah von seinem Standpunkt aus nur die rote Ampel und ich von meinem Standpunkt nur die grüne."

Die Tatsache, dass wir von verschiedenen Standpunkten aus immer Verschiedenes wahrnehmen, ist für mich eine entscheidende und erlösende Einsicht. Denn jetzt weiß ich:
Jeder hat Recht
Haben zwei Menschen unterschiedliche Sichtweisen, so liegt das daran, dass sie von unterschiedlichen Standpunkten aus schauen. Hätten beide ein und denselben Standpunkt, würden sie auch das Gleiche sehen. Dabei gehört zum Standpunkt nicht nur der äußere Ort sondern auch die innere Ein-"stellung".

Jeder Mensch sieht immer nur einen Teil der ganzen Wahrheit, von seinem eigenen Standpunkt aus.
Und alles, was gesehen wird, gehört zum Ganzen dazu.

Wenn wir eine Aufstellung beobachten, stellen wir fasziniert fest, dass StellvertreterInnen, nachdem sie aus der Gruppe ausgewählt und aufgestellt wurden, verschiedene Gefühle entwickeln. Dabei ist es als Zuschauer schwer, ihre Gefühle nachzuvollziehen. Steht man selbst an der Stelle des Stellvertreters, spürt man oft überraschend Ähnliches.
Diese Tatsache führt dazu, dass ein (von "außen" führender) Aufstellungsleiter die StellvertreterInnen immer fragen muss, wie es ihnen an ihrem Platz ergeht und was sie fühlen. Erst dann kann er Veränderungs- oder Lösungsvorschläge machen, denn er nimmt die Gefühle selbst nicht wahr.

Die Gefühle und Sichtweisen eines anderen Menschen könnnen wir nicht nachvollziehen. Wollen wir ihn verstehen, dann müssen wir entweder seinen Standpunkt einnehmen oder ihm Fragen stellen. Betrachten wir ihn nur von unserem Standpunkt aus, so sehen wir ihn anders, gefärbt durch unsere Sichtweise. Oft nehmen wir an, dass es "wahr" sei, was wir sehen. Wenn wir aus dieser "Wahr"-nehmung aber Behauptungen entwickeln, kann das zu Auseinandersetungen führen. Viele kennen das aus ihrem Alltag.

Beobachten wir Aufstellungsleiter, wie sie Aufstellungen begleiten, dann erleben wir, was sie für beeindruckende Interventionen machen, wie sie zielsicher die StellvertreterInnen umstellen, was sie ihnen für versöhnende und lösende Sätze vorschlagen, die sie zu anderen StellvertreterInnen sagen sollen, oder was die Leiter selbst für klare Sätze sagen und als Behauptungen in den Raum stellen. Wir fragen uns: Woher weiß der das alles?
Aber vielleicht tun oder sagen wir ja Ähnliches, wenn wir an seiner Stelle stehen?

Ich empfand das Verhalten eines Aufstellungsleiters oft als unangenehm und unpassend und dachte mir, dass ich an seiner Stelle sicherlich ganz anders handeln würde. Er schien manches besser zu wissen, gab dem Klienten "wissende" Ratschläge, was zu tun sei, oder konfrontierte ihn mit einer "Wahrheit". Ich hatte das Gefühl, er würde den Klienten überrollen, ihm seine Verantwortung abnehmen, sich über ihn stellen.
Als er dann jedoch meine eigene Aufstellung begleitete, fühlte ich mich plötzlich geborgen. Es passte, was er sagte, es half mir und unterstützte mich. Es gab nichts, was in mir einen Widerstand weckte. Ich empfand ihn als rücksichtsvoll, einfühlsam und klar.
Anfangs verwirrten mich diese Erfahrungen, bis mir klar wurde, dass ich nie das Ganze sehe, sondern von meinem Standpunkt aus immer nur einen unvollständigen Teil wahrnehme. So kann ich mir als Beobachter immer öfter sagen, dass der Leiter für den Klienten in diesem Moment einen für ihn passenden Spiegel darstellt.
Genauso ging es mir mit Bert Hellinger. Wenn ich ihn bei der Arbeit mit anderen beobachtete, hatte ich innerlich ab und zu etwas zu kritisieren. Doch als er mir persönlich in Bezug auf die erste Manuskriptfassung dieses Buches eine kurze Rückmeldung gab, erlebte ich darin einen für mich stimmigen Spiegel. Ich konnte auf vielen Ebenen Übereinstimmungen zu meinem tiefsten Gefühl entdecken, fühlte mich unterstützt, auf der anderen Seite dort "ertappt", wo ich abwertete und ausschloss, und sah das Wichtigste ans Licht gebracht.
Ich musste ihn erst im Kontakt mit mir selbst erleben, damit mir bewusst werden konnte (wahrscheinlich nur ansatzweise), auf welchen Ebenen er kommuniziert, wie umfassend sein Spektrum ist. Wenn ich nur beobachte, wie er mit anderen arbeitet, hat es natürlich auf mich eine völlig andere Wirkung. Ich befinde mich dabei weder auf seinem Standpunkt noch auf dem Standpunkt des Klienten. Daher kann ich mich in den dort stattfindenden Prozess gar nicht wirklich einfühlen. Ich nehme immer nur meine eigene Deutung der Situation wahr, kann über sie also nicht objektiv urteilen.
Seitdem schaue ich anders auf Menschen, die miteinander agieren. Ich ziehe mich innerlich zurück und weiß, dass ich mich dort nicht hineinversetzen kann. Ich weiß auch nicht, ob das gut oder schlecht ist, was sie miteinander durchmachen, oder wer Opfer und wer Täter ist.

Wenn ich mir auf diese Weise bestimmte Auseinandersetzungen von Aufstellern untereinander und zwischen Aufstellern, kritischen Psychologen und der Öffentlichkeit anschaue, weiß ich jetzt: Alle haben Recht, jeweils von ihrem Standpunkt aus gesehen. Und jeder weiß es besser, wie es sich auf seinem eigenen Standpunkt anfühlt, als die anderen, die dort nicht stehen. Ob diese Auseinandersetzungen berechtigt sind, kann ich von meinem Standpunkt aus nicht beurteilen. Ich kann auch nicht wissen, in welchem Zusammenhang sie stehen oder welche Ursache dahinter steckt.
Wollen wir uns miteinander versöhnen, so haben wir die Möglichkeit, uns so gut wie es geht, auf den Standpunkt des anderen zu begeben oder ihm Verständnisfragen zu stellen, um seine Gefühle oder seine Sichtweise mit Hilfe unserer Erfahrungen ansatzweise nachvollziehen zu können. Dazu müssen wir bereit sein, uns von unserem eigenen Standpunkt wegzubewegen und mit unseren Möglichkeiten in den Standpunkt des anderen einzufühlen ( mit der Gewissheit: Wir können jederzeit zu unserem Standpunkt zurückkehren). Bleibt jedoch ein Missverständnis bestehen, so können wir diesen Unterschied zwischen uns auch anerkennen und achten wie er ist:
Von der einen Seite sieht man eben Rot und von der anderen Grün - zu einer bestimmten Zeit.

Die Aufstellungen mit ihren Gefühlsphänomenen sind ein geniales Hilfsmittel für uns, andere Menschen verstehen zu lernen und unseren eigenen Standpunkt zu wechseln. Wollen wir den anderen vollständig verstehen können, müssten wir uns auch vollständig in ihn verwandeln. Da dies aber nicht möglich ist, bleibt immer ein Unterschied, sprich: ein Missverständnis.
Fazit: Wir können imer nur nach dem "besten Missverständnis" zwischen uns suchen.

Diese Erkenntnis macht es mir leichter, meine eigene Sichtweise gegenüber anderen zu vertreten und "Besserwisserei" als dazugehörig anzuerkennen. Denn ich weiß: Bezogen auf meinen eigenen Standpunkt habe ich immer Recht. Und so geht es jedem. Jeder weiß "am besten", was er von seinem Standpunkt aus wahrnehmen kann. Dabei ist mir bewusst: Ich nehme immer nur enen Teil vom Ganzen wahr, eben meinen Teil. So wie jeder nur seinen Teil vom Ganzen wahrnimmt.
(...)
Meine in diesem Buch dargestellte Form der freien Aufstellung ist nur ein Teil vom Ganzen und gehört genauso dazu, wie all das, was sich davon unterscheidet.
Auf der Arbeitstagung in Würzburg erfuhr ich, dass diese freie Art mit Aufstellungen umzugehen für viele wohl recht ungewöhnlich sei. Dort entstand in mir das Gefühl, eine "Marktlücke" entdeckt zu haben, und ich kam auf die Idee, meinen Standpunkt in Bezug auf das Thema Verantworung mit Hilfe eines Buches auszudrücken. In diesem Buch würde ich über meine Form der Aufstellung schreiben, die ich "Freie Aufstellung als Spiegel" nenne. Darin sind Verantwortungsabgabe und -übernahme nicht möglich.

Kein anderer Mensch als ich selbst trägt die Verantwortung dafür, ob, wann und wie ich in einen Spiegel schaue und wie ich mit der dadurch gewonnenen Einsicht umgehe.
Und auch ich trage keinerlei Verantwortung für jemand anderen, ob, wann und wie dieser in einen Spiegel schaut und was er aus seiner Erkenntnis macht.
Jeder lebt selbst mit den Folgen, die durch den eigenen (subjektiven) Blick in einen Spiegel ausgelöst werden. Ob man den Spiegel als klar oder verzerrt empfindet, kann man nur selbst be(ver)antworten.

Der Begriff Spiegel meint in diesem Zusammenhang u.a.: Wenn StellvertreterInnen ganz ähnliche Gefühle der Personen in sich wahrnehmen, die sie vertreten, so funktioniert das auch in Bezug auf sich selbst. Sucht man für sich selbst einen Stellvertreter aus, kann man während der Aufstellung beobachten, was dieser in seiner Rolle berichtet. Erstaunlich oft findet man sich selbst in den Schilderungen des eigenen Stellvertreters wieder (= Spiegel). Die Chance, die sich hier bietet, ist, sich z.B. von dieser Person "beraten" zu lassen oder ihr verschiedene Fragen zu stellen, die einem über manche Ausblendungen oder Unwissenheiten hinweghelfen können. Man kann auch "sich selbst helfen", indem man überlegt und ausprobiert, wie und wodurch es seinem eigenen Stellvertreter besser gehen könnte. Seine Rückmeldungen sind dabei wertvolle Hinweise.
Auch das Verhalten der übrigen StellvertreterInnen und der AufstellungsleiterInnen kann man als "Reaktionen auf mein Problem" deuten und so als Spiegel nutzen. Allerdings bleibt man immer selbst derjenige, der dieses Spiegelbild bewertet und entscheidet, wie er damit umgehen möchte.

Mit diesem Buch lade ich Sie ein, diese Möglichkeit der gemeinsamen "selbstverantwortlichen" Aufstellung als Spiegel kennenzulernen.

Eine neue gesellschaftliche Lebensform

In der "Freien Aufstellung als Spiegel" wird die (Verantwortung tragende) Leitungsfunktion aufgelöst. Wie geschieht das? Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass das Phänomen der "repräsentierenden Wahrnehmung" nicht nur in Aufstellungen stattfindet, sondern überraschend alltäglich ist, immer und überall entdeckt und von jedem genutzt werden kann. Nicht ohne Grund können sich die meisten Menschen verblüffend schnell mit diesen Aufstellungsphänomenen identifizieren, nachdem sie eine Aufstellung am eigenen Leibe erfahren haben. Hier wird etwas geweckt, was unbewusst schon im Alltag angewandt wird: In den Aufstellungen erlebt man als StellvertreterIn deutliche Gefühle. Sowohl emotionale als auch körperliche Symptome sind zu spüren, die oft dem Schicksal der Person ähnlich sind, die vertreten werden. Das entspricht unseren alltäglichen Gefühlswahrnehmungen, die wir im Umgang mit anderen Menschen haben. Meistens sind im Alltag diese Sinne nicht so intensiv oder klar für uns. Wir halten sie zunächst noch für eigene persönliche Gefühle und erkennen nur selten die Ähnlichkeiten zu dem Schicksal des Gegenübers.
(...)
So eine Wahrnehmung kann jeder hervorragend als Rückmeldung nutzen, eben als "Spiegel". Nehmen wir selbst ein Gefühl gegenüber einem Menschen wahr, können wir lernen, dieses Gefühl nicht mehr persönlich zu nehmen, sondern es zu deuten und neu damit umzugehen. Wir können uns fragen:"Was hat dieses Gefühl mit dem Schicksal des anderen zu tun?", und beobachten, was uns im Laufe der Zeit dazu auf- oder einfällt.
Haben wir mit dieser Situation selbst ein Problem, dann können wir es auch für uns anwenden und uns fragen: "Was hilft? Wogegen wehre ich mich gerade? Und was wäre, wenn ich mich nicht mehr dagegen wehren würde?" Anschließend beobachten wir, was für eine Antwort wir uns geben. So haben wir die Chance, etwas zu intergrieren und damit die Sichtweise auf uns selbst zu erweitern.
Genauso können wir über uns selbst nachdenken, wenn uns jemand anderes mitteilt, wie er sich uns gegenüber fühlt. Wir können uns Fragen stellen und untersuchen, welche Ursache das Gefühl des anderen haben könnte, welchen Einfluss, wir darauf haben, welchen Teil unseres Schicksals der andere gerade erspürt und wie wir neu damit umgehen wollen. Uns können neue Zusammenhänge bewusst werden. Auf diese Weise erweitern wir Schritt für Schritt unser Selbst"bewusstsein".

Bisher wird diese natürliche, faszinierende Wahrnehmungsfähigkeit bei allen Kritiken an der Aufstellungsszene und an Bert Hellinger zum großen Teil ausgeblendet. Die Kritiken beziehen sich immer wieder darauf, dass mache AufstellungsleiterInnen in ausgrenzender und dogmatischer Weise mit Klienten umgehen und dass Bert Hellinger "Wahrheiten" verbreitet. Dabei wird übersehen, wodurch er zu seinen Einsichten gelangen konnte: durch das, was sich mit Hilfe der repräsentierenden Wahrnehmung von StellvertreterInnen in einer Aufstellung "wie von selbst" zeigt.

Natürlich wird alles, was sich zeigt, noch interpretiert und gedeutet. Hier (unter-)scheiden sich die Geister (im wahrsten Sinne des Wortes) und jeder sieht nur seinen Teil der ganzen Wahrheit. Doch dass sich in einer Aufstellung mit Hilfe der repräsentierenden Wahrnehmung etwas zeigt, bleibt. Und dass Hellingers Einsichten einen Teil der ganzen Wahrheit (ab)bilden, bleibt auch.

Die "Freie Aufstellung als Spiegel" macht sich das Wahrnehmungsphänomen von StellvertreterInnen zu Nutze und setzt genau hier an. Dabei geht es darum, dass sich eine Gruppe von Menschen für eine Person zur Verfügung stellt, die eine Frage mitbringt. Die Gruppe spiegelt dieser Person in einem gemeinsamen "Rollenspiel" ihr Anliegen - mit Hilfe der repräsentierenden Wahrnehmung - und macht dabei auch Deutungs- und Entwicklungsvorschläge.
Diese Gruppengemeinschaft stellt für alle eine Möglichkeit des (Mit-)Teiles und der Kooperation dar. Die teilnehmenden Menschen leben vorübergehend in einem Gruppengleichgewicht, getragen von Neugier, Lust an Entdeckungen, Lösungen und Entwicklungen. Der Spaß, seine Kreativität im Problemlösen auszuleben, spielt eine weitere Rolle. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit verstärkt sowohl auf wechselseitigen Respekt und gegenseitige Achtung des individuellen Schicksals als auch auf die Fragen "Was wirkt?" und "Was hilft?"

Ich empfinde es als sehr sinnvoll, dieser neuen "Lebensform" die Chance zu geben, sich frei auszubreiten und sich zu entwickeln, unabhängig von kostspieligen Seminaren, erfahrenen LeiterInnen und Aufstellungsschulen. Von meinem Standpunkt aus gehören solche Seminare, LeiterInnen und Schulen unbedingt dazu. Sie stellen Bedeutendes zur Verfügung. Ohne sie könnte ich jetzt nicht auf diese Weise dieses Buch schreiben, und ich bin sehr dankbar dafür. Eine Grundvoraussetzung für das Gelingen von Aufstellungen, wie es oft angenommen wird, bilden sie jedoch nicht.
Ich höre ab und zu von TeilnehmerInnen meiner Workshops, dass sie zu Hause ausprobiert haben, mit FreundInnen bestimmte Situationen und Probleme aufzustellen. Sie konnten sich gegenseitig durch die repräsentierende Wahrnehmung hilfreiche Impulse geben. Und sie waren auch fähig, sich in angespannten Aufstellungssituationen selbstverantwortlich zurückzuziehen. Sie spürten, dass es ihnen als Stellvertreter an dieser Stelle zu belastend wäre, sich den "fremden Gefühlen" hinzugeben. Und selbst das hatte für sie eine interessante Spiegelwirkung.

Häufig wird übersehen, dass wir nicht nur die natürliche Fähigkeit zur repräsentierenden Wahrnehmung besitzen, sondern gleichzeitig auch die Möglichkeit haben, Gefühle nicht zuzulassen. Wir können uns durch Rückzug vor ihnen schützen. Auf diese Weise halten wir in den alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen unser emotionales Gleichgewicht.
Das "Zulassen" und das "Abschalten" von Gefühlen (oder auch: das "Gehen in" und der "Rückzug aus" Situationen) befähigt uns, selbstverantwortlich mit den Aufstellungsphänomenen umgehen zu lernen.
Deshalb kann der bewusste und eigenverantwortliche Umgang mit dieser Wahrnehmungsfänigkeit uns Menschen in eine neue gesellschaftliche Lebensform führen. Dazu wird eine Weltsicht gehören, in der verstärkt Integration und Verbundenheit eine Rolle spielen, weniger der Ausschluss und die Trennung. Man nutzt Problemgefühle immer weniger dazu, andere zu beschuldigen und sich gegenseitig zu bekämpfen, sondern erforscht und untersucht die Zusammenhänge, die dazu geführt haben, dass dieses Problem aufgetaucht ist. Man sucht sowohl in sich selbst als auch im Außen und gelangt dadurch zu einem umfassenderen Selbstverständnis.
Die "Freie Aufstellung als Spiegel" will dieser Entwicklung zur Seite stehen und nutzt dabei die Weltsicht der Verbundenheit aller Wesen. Ich werde später ausführlicher auf diese neue Lebensform eingehen.

Aufstellungen "gehören" allen, weil alle die Fähigkeit zur repräsentierenden Wahrnehmung haben. Wir machen im Alltag die Erfahrung, dass im Kontakt mit verschiedenen Menschen auch unterschiedliche Gefühle in uns wahrnehmbar sind, die uns teilweise in unseren Handlungen steuern, manchmal sogar gegen unseren Willen. Nachdem uns das immer öfter bewusst wird, gerade durch Aufstellungen, können wir neu und selbstverantwortlich lernen, damit umzugehen.

Für das Durchführen einer Aufstellung ist die Anwesenheit eines verantwortlichen erfahrenen Leiters möglich, bei sehr schweren Schicksalen oder Krankheiten von TeilnehmerInnen oft auch erwünscht und wirkt eindrucksvoll unterstützend. Sie ist aber nicht immer notwendig.

In der ersten Hälfte des Buches stelle ich den genauen Rahmen der "Freien Aufstellung als Spiegel" vor. Dabei formuliere ich mehrere Regeln, die zeigen, worauf bei freien Aufstellungen geachtet werden kann.
Ist das ein Widerspruch? Sind durch die Existenz von "Regeln" Aufstellungen überhaupt noch frei?
Durch die repräsentierenden Wahrnehmungen im Alltag sind alle Situationen, die wir im Kontakt mit anderen Menschen erleben, im Grunde "freie Aufstellungen". Wir können den Alltag als Spiegel nutzen und uns in einer problematischen Situation fragen: "Warum passiert uns das? Wodurch haben wir das, was uns gerade begegnet, unterstützt? Fehlt uns eine Erkenntnis und die Achtung von dem, was wir wahrnehmen? Und was könnte uns nun helfen, in ein besseres Gleichgewicht zu gelangen?"
Der Alltag stellt also die freieste Aufstellung dar, die möglich ist. Deshalb ist die Form der freien Aufstellung, die ich hier beschreibe, durch ihre Regeln eher begrenzt und immer noch geführt. Verglichen mit den traditionell geleiteten Aufstellungen ist jedoch die "Freie Aufstellung als Spiegel" relativ frei. Es kommt wieder darauf an, von welchem Standpunkt aus man es betrachtet. Wer die Regeln genauer anschaut, erkennt auch, dass es hauptsächlich Hinweise dafür sind, vorhandene Grenzen zu öffnen statt Grenzen zu setzen.

Im folgenden Kapitel beginne ich mit der Beschreibung der "Leitungsfunktion", weil sie einen Rahmen für Aufstellungen gibt und großen Einfluss auf sie hat. Wer Aufstellungen jedoch noch nicht kennt, dem empfehle ich, sich zunächst dem 2. Kapitel "Der Ablauf einer freien Aufstellungen" zu widmen, bevor er sich mit der Leitungsfunktion auseinandersetzt. Für alle anderen halte ich die gegebene Reihenfolge für sinnvoller.

In der zweiten Hälfte dieses Buches setze ich mich für die an Theorie Interessierten ausführlicher mit der Frage auseinander, was Verantwortung ist. Dazu stelle ich mein Weltbild der Verbundenheit vor, das mir immer wieder die Kraft und das Vertrauen gibt, mich in das freie Aufstellen "hineinfallen zu lassen".

Am Ende des Buches finden Sie ergänzende Hinweise, z.B. zu der Möglichkeit, mit sich allein eine Aufstellung durchzuführen, oder zu rechtlichen Zusammenhängen: Wodurch macht man sich strafbar, wenn man Systemische Aufstellungen anbietet und leitet ohne Arzt oder Heilpraktiker zu sein? Spannend sind auch die Entdeckungen, in welchen Situationen wir unbewusst "die repräsentierende Wahrnehmung im Alltag" nutzen.Besonders hinweisen möchte ich auf den Abschnitt "Gefahren" im 3. Kapitel.
(...)

Ich freue mich, wenn von jedem Standpunkt aus wahrgenommen werden kann:
In diesem Buch schreibt ein Mensch über seinen ganz eigenen Standpunkt. Und von hier nimmt er einen Teil des Ganzen wahr.